Inventur in der Lebensmitte: Buchrezension „45+: Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät“

Mann schreibt in ein Notizbuch

„Angefangen hat alles mit 49. Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein, im Reinen mit mir und auf dem Höhepunkt meines Lebens. Alles war gut, auch mein Beruf erfüllte mich. Ich befand mich jenseits von Burn-Outs und Midlife-Krisen. Ich wusste ganz genau, dass ich endlich erwachsen war, „reif“, wie man so schön sagt, und in einem Zustand, den ich nicht mehr verlassen wollte.“ So fängt das Buch an, das ich Dir heute vorstellen will. Aber für die Autorin und Herausgeberin sollte es dann ganz anders kommen.

Das Buch, über das ich heute schreibe, trägt den Titel „45+: Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät“. Dieser Titel hat mich sehr angesprochen, da ich den Begriff „zweite Pubertät“ auch gerne für die Lebensmitte verwende. Denn in dieser Phase verändern sich wie in der ersten Pubertät der Körper, aber auch die Seele ganz massiv.

Das Buch ist letztes Jahr auf den Markt gekommen und umfasst 224 Seiten. Also ein Umfang, der meiner Meinung nach für einen Ratgeber absolut ausreichend ist, dicker sollte er nicht sein.

Gebunden kostet das Buch 24,00 €, als E-Book 21,90 €. Das PDF wurde mir vom Hirzel-Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Ich bekomme aber weder ein Honorar noch eine Provision noch irgendeine andere Zuwendung dafür, dass ich das Buch hier vorstelle. Das mache ich komplett aus freien Stücken.

Herausgeberin Petra Kiedaisch: ein bunter Vogel

Herausgeberin und Mitautorin ist Petra Kiedaisch. Diese Frau ist – wenn man auf ihren Lebenslauf schaut – ein bunter Vogel. Und das meine ich nicht despektierlich. Im Gegenteil: Sie scheint einen breiten Horizont zu haben.

Also: Sie ist Jahrgang 1967, hat einen Doktor in Literatur, ist geschäftsführende Gesellschafterin eines Verlags für Architektur und Design und hat in der Lebensmitte noch eine Ausbildung zur psychologischen Beraterin absolviert. Wow – das nenne ich mal Vielfalt an Interessen und Begabungen!

Petra Kiedaisch
Herausgeberin und Autorin Petra Kiedaisch (Foto: Jan Reich)
Grund und Ziel des Buches

Was war der Anlass für dieses Buch, wenn für die Herausgeberin mit 49 – wie wir gehört haben – die Welt total im Lot war? In der Einleitung hat sie noch ergänzt: „Zu gerne hätte ich also auf den Stopp-Button gedrückt, da ja alles gut war, wie es war.“

Aber es sollte, wie schon erwähnt, ganz anders für sie weitergehen. Sie bekam einen Bandscheibenvorfall, der in ein Rückenleiden mündete. Die Wechseljahre brachen über sie herein. Es folgten Fältchen, Äderchen, Bäuchlein, Beißschiene, Lesebrille und Gleitcreme.

Allein schon diese Beschreibung lässt mich lächeln und nicken: Hier schreibt eine Frau, der nichts mehr peinlich ist. Die die Dinge so beschreibt, wie sie nun mal sind. Und so was liebe ich.

Übrigens: Das Buch ist zwar von einer Frau herausgegeben, richtet es sich aber an Männer und Frauen. Und es haben auch einige Männer mitgeschrieben. Ich habe mich jedenfalls als Mann beim Lesen auch immer angesprochen gefühlt.

Was ist das Ziel des Buches? Ich zitiere aus dem Klappentext: „Ab der Lebensmitte legen wir die Grundlagen dafür, ob und wie wir älter werden. Das Buch ermuntert, Älterwerden nicht als Krise, sondern als Chance zu erleben. Es bietet Orientierung für ein gutes Leben ab 45.“

Und genauso liest es sich. Ermunternd und motivierend.

Aufbau des Buches und Kapitelstruktur

Schauen wir uns mal den Aufbau des Buches an: Die Einleitung hat die Herausgeberin geschrieben und es folgen 8 Kapitel, die jeweils von Experten oder Expertinnen geschrieben wurden.

Ich würde diese 8 Kapitel in drei Cluster einteilen:

  • Im ersten Cluster geht es um meine Seele und um meinen Geist. Es sind die Kapitel über Philosophie, Psychologie und Religion.
  • Das zweite Cluster mit den beiden Kapiteln Medizin und Ernährung hat den Körper im Fokus und
  • Die Kapitel Recht, Pflegeversicherung und Finanzen bilden das dritte Cluster, das auf mein persönliches Risiko- und Vermögensmanagement schaut.

 

Es würde natürlich den Rahmen sprengen, in diesem Beitrag jedes Kapitel vorzustellen. Ich greife mir daher einfach ein paar Highlights heraus:

Highlights

Das erste ist, dass jedes Kapitel mit einer Checkliste endet. Das sind um die 10 Fragen zur Reflexion oder Handlungsaufforderungen. Und wir wissen ja, dass die Lebensmitte eine ganz große Zeit der Reflexion ist. Auf das zu schauen, woher man kommt, was man erreicht hat, aber auch was schiefgegangen ist, wo man gescheitert ist, um dann die zweite Lebenshälfte in den Blick zu nehmen und einen Aufbruch zu wagen, neue Ziele und Träume zu verfolgen. Das finde ich sehr hilfreich.

Nehmen wir als Beispiel das erste Kapitel zur Philosophie. Für mich war Philosophie immer sehr theoretisch und abstrakt. Beim Lesen dieses Kapitels habe ich erstmals verstanden, dass es so was wie eine „praktische Philosophie“ gibt. Hier stehen Fragen in der Checkliste wie:

  • Wo bin ich wirklich zuhause?
  • Tickt meine Uhr noch richtig? Gehe ich noch mit der Zeit, die Zeit mit mir?
  • Blick auf den moralischen Kompass: zu viele Kompromisse? Was sind meine Werte?
  • Der Wunsch nach einer besseren Welt: Was kann ich tun? Jetzt. Gleich.

 

Das nächste Highlight ist, dass man viele einfach zu bewältigende Aufgaben bekommt, um das eigene Leben zu analysieren und herauszufinden, was sich für einen verändern soll.

Ein Beispiel findet sich im Kapitel „Psychologie“: Es fordert den Leser auf, eine typische Alltagswoche mit ihren Zeitfenstern zu skizzieren.

Im nächsten Teil der Übung soll der Leser seine bedeutsamen Lebensbereiche identifizieren, und zwar feiner als nur „Arbeit“, „Familie“, „Freizeit“. Und diesen Lebensbereichen ordnet er dann in einer Kuchengrafik Zeitanteile zu, wie er sie gerne hätte. Im Anschluss folgt die Zeichnung des Kuchens mit den Zeitanteilen für die Lebensbereiche, wie sie tatsächlich sind.

Es wird nicht verwundern und manchmal auch schmerzen, wenn man Abweichungen zwischen idealem und realem Lebenskuchen feststellt. Aber damit hat man schon eine erste praktische Basis, um sein Leben in die gewünschte Richtung zu verändern.

Im Kapitel „Pflegesicherung: Unterstützung für unsere Eltern, die wir brauchen“ geht es – wie der Name schon sagt – ausnahmsweise nicht um uns Midlifer, sondern das Kapitel bereitet uns auf den Pflegedschungel vor, in dem man sich ganz schnell befindet, wenn die Eltern sich nicht mehr selbst versorgen können.

Diese Erfahrung durfte ich insgesamt drei Mal machen. Und ich kann Dir nur raten: Lies Dir einfach mal diese knapp 30 Seiten durch. Dann bist Du schon etwas vorbereitet, wenn der Fall eintritt.

Für mich erhellend war auch das Kapitel über Finanzen:

Der Autor Professor Philipp Schreiber hilft dem Leser ganz praxisnah und down to earth, herauszufinden, wie die eigenen Finanzen für die Zeit nach dem Arbeitsleben aussehen und man sie regeln kann. Er sagt: Die Wahrscheinlichkeit sehr alt zu werden, wird häufig unterschätzt, weshalb man den Finanzbedarf im Alter nicht zu knapp kalkulieren sollte.

Der Autor erklärt sehr verständlich die drei Säulen aus gesetzlicher, privater Rentenversicherung und Betriebsrente. Und er zeigt auf, wie man mit Hilfe eines Aktienportfolios und eines einfachen, aber cleveren Plans zum Entsparen – also zum Aufbrauchen des angesparten Vermögens – die persönliche Rentenlücke schließen kann. Und damit kann man auch noch in der Lebensmitte starten.

Also: Falls Du Dir bisher darüber noch keinen Kopf gemacht hast. Es ist noch nicht zu spät, selbst, wenn Du die 50 schon überschritten hast.

Nicht fehlen darf in einem ganzheitlichen Ratgeber ein Kapitel über den „Glauben“:

Der Autor Georg Eberhardt ist evangelischer Pfarrer, aber das spielt hier keine Rolle. Er bezieht sich auch auf die Pubertät, und zwar die erste, in der Jugend, wo die Frage „Gibt es einen Gott?“ leidenschaftlich diskutiert wird.

Dann verblasst die Frage oft, weil uns die Ausbildung, die große Liebe, die Gründung einer Familie und vieles mehr alle Aufmerksamkeit und Kraft kosten. Es kommt einfach das Leben dazwischen, könnte man sagen. In der Lebensmitte drängt sich die Glaubensfrage nochmal stark auf, wenn die Eltern krank und pflegebedürftig werden und schließlich sterben. „Kommt noch was danach? Oder war’s das jetzt?“

Mein Urgroßvater mütterlicherseits hat auf dem Sterbebett seiner Frau auf Norddeutsch-Platt gesagt: „Wenn es utt is, is it utt.“ – „Wenn es aus ist, ist es aus.“ Und das finde ich trostlos.

Und letztlich gibt es keine ungläubigen Menschen. Selbst der Atheist glaubt, und zwar, dass Gott nicht existiert. Martin Luther hat es treffend formuliert: „Woran Du Dein Herz hängst, das ist Dein Gott.“ Das kann die Karriere sein, der Besitz, Sport, Aussehen und viele andere Dinge.

Die Frage ist: Was hat wirklich Bestand? Sich eine Antwort auf diese Frage zu geben, dafür ist es in meinen Augen in der Lebensmitte höchste Zeit.

Buch "45+ Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät."
Buch "45+ Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät-" (Foto: S. Hirzel Verlag)
Zielgruppen, Stil & Fazit

Gehen wir nochmal weg von einzelnen Kapiteln und schauen auf das gesamte Buch: Für wen lohnt es ich, es zu lesen? Da würde ich drei Gruppen sehen:

  • Die einen stehen vielleicht am Beginn der Lebensmitte, merken noch nichts von einem Wandel und wollen sich innerlich auf das vorbereiten, was da kommt. Das ist eine gute Idee!
  • Die zweite Gruppe sind die, die – wie die Herausgeberin Petra Kiedaisch – schon die Veränderungen der Zweiten Pubertät deutlich spüren und eine Einordnung und Rat haben wollen.
  • Und die dritte Lesergruppe sind die, die ganz konkrete Fragen haben, weil z.B. ein Elternteil gerade pflegebedürftig geworden ist oder ein Krankheitserlebnis den Blick auf den eigenen Körper lenkt.

 

Was das Buch nicht leisten kann, ist, in jedem Kapitel ins Detail zu gehen. Dazu braucht es monothematische Ratgeber oder eben eine Beratung beim Experten.

Noch eine Anmerkung zum Sprachstil: Das Buch lässt sich insgesamt locker lesen. Die Kapitel sind von verschiedenen Autoren geschrieben und jeder hat so seinen eigenen Stil. Das ist klar. Hinzukommt, dass Kapitel wie die über Psychologie oder Philosophie sich flockig lesen lassen, aber solche mit vielen bürokratischen oder juristischen Fachbegriffen wie das über Recht oder Pflegeversicherung etwas sperriger sind. Und trotzdem lässt sich alles gut verstehen.

Mein Fazit: Ich kann Dir dieses Buch absolut empfehlen. Vor allem, wenn Du in der Lebensmitte eine Inventur Deines Lebens machen willst.

Was mir besonders gut gefällt und ich mir trotz vieler guter Tipps, wie man das eigene Leben verbessern kann, vor Augen halten will, das hat der Autor des Kapitels über den Glauben auf den Punkt gebracht. „Auch die Idee des kontinuierlichen Wachsens und Reifens hält der Betrachtung der Wirklichkeit in der Lebensmitte nicht stand. Wir werden keine ungebrochenen Wesen nur durchs Älterwerden. Deshalb: Wir brauchen den Mut, uns von diesen Allmachtsfantasien und dem Sehnen nach Ganzheitlichkeit zu verabschieden und das Leben als fragmentarisches zu akzeptieren.“

Buch "45+ Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät."
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Inventur in der Lebensmitte: Buchrezension „45+: Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät“.

„Angefangen hat alles mit 49. Ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein, im Reinen mit mir und auf dem Höhepunkt meines Lebens. Alles war gut, auch mein Beruf erfüllte mich. Ich befand mich jenseits von Burn-Outs und Midlife-Krisen. Ich wusste ganz genau, dass ich endlich erwachsen war, „reif“, wie man so schön sagt, und in einem Zustand, den ich nicht mehr verlassen wollte.“

So fängt das Buch an, das ich in dieser Episode vorstelle. Aber für die Autorin und Herausgeberin sollte es dann ganz anders kommen. Das Buch trägt den Titel „45+: Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät“. Warum es sich lohnt, das Buch zu lesen, und für wen es sich besonders eignet, das erfährst Du in dieser Episode.

Interessante Links:

Buch „45+: Ein Ratgeber für die Zweite Pubertät“: https://www.hirzel.de/45-plus-ein-ratgeber-fuer-die-zweite-pubertaet/9783777635194

Dr. Petra Kiedaisch im Netz: www.kiedaisch.eu

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