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Mehr Selbstbewusstsein und Authentizität: Der Männercoach Niko Nees im Gespräch

Zwei Männer im Gespräch

Niko Nees, Coach für Authentizität und Selbstbewusstsein, hat eine Mission: Er will Männern durch seinen Podcast „Mann sein“ und durch Workshops dabei helfen, ihre wahren Ziele zu finden und ihr volles Potenzial zu entfalten. Mit Joachim Zdzieblo hat er darüber gesprochen, was Männlichkeit für ihn bedeutet, welche Männer-Generation besonders unter Entscheidungsschwäche leidet und welche Kraft das Teilen auch schmerzhafter Erfahrungen hat.

Niko, wir leben in einem Zeitalter des Feminismus. Frauen kämpfen gegen ihre jahrhundertelange Benachteiligung und haben in den letzten 10, 15 Jahren auch Fortschritte erzielt. Wirkt da ein Podcast übers Mannsein nicht ein bisschen aus der Zeit gefallen?

Der wirkt genau in die Zeit gefallen, weil ganz viele Frauen den Podcast hören. Über 60 Prozent der Hörer sind aktuell Frauen. Und warum ist das so? Weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Männlichkeit auf eine gesunde Weise gelebt, ist nichts Ungesundes, nichts Toxisches. Und das wünscht sich eine gesunde Frau immer noch, auch heutzutage. Ich bekomme viele Zuschriften von Frauen, die sagen, sie finden das genau gut, weil es bei mir ja nicht darum geht, wie Du der Supermacker bist, sondern es geht um Werte, Menschlichkeit und Miteinander.

Es geht darum, wieder mal auf Frauen zuzugehen, um Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit. Das kommt nie aus der Mode, und das steht für mich auch für Mannsein. Mein Podcast thematisiert ja nicht nur Mannsein im Sinne von Männlichkeit, sondern auch diese Stärke, die wir in uns haben, egal ob Mann oder Frau. Deshalb sehe ich ihn nicht aus der Zeit gefallen.

Kommen wir trotzdem noch mal zum Thema Männlichkeit zurück. Der Soziologe Rolf Pohl* sieht eine „Krise der Männlichkeit“, die sich in den letzten Jahren zugespitzt hat. Denn die „starke Männlichkeit“ zog ihre Daseinsberechtigung hauptsächlich aus der Rolle des alleinigen Familienernährers. Und diese Rolle bricht zunehmend weg, weil die Mehrheit der Frauen, auch der Mütter, berufstätig sind und ihr eigenes Geld verdienen. Ist die Männlichkeit auch in Deinen Augen in der Krise?

Die Menschlichkeit ist in der Krise in meinen Augen. Die Unverbindlichkeit ist ein Riesenthema. Meine Erfahrung der letzten Jahre ist, dass sie sehr stark zugenommen hat. Da kriege ich auch Bestätigung durch viele Zuschriften. Und, wenn wir bei der Männlichkeit bleiben wollen, ziehen auch Männer eine Krise daraus, weil das heute nichts mehr Besonderes ist. Du lernst jemanden kennen, und die Verbindung kann ganz schnell aufgelöst werden. Diese engen, starken Verbindungen, in denen der Mann auch Halt gibt, können jederzeit ausgewechselt werden. Tinder macht’s möglich, zwei, drei Fingerwisch und es ist erledigt. Und das macht was mit Menschen und ist keine positive Entwicklung. Die ist für Frauen wie Männer nicht gesund, und wir sehen ja auch im letzten Jahr einen Riesenanstieg an Erkrankungen der Psyche und die höchsten Krankheitsausfälle in der Arbeit aufgrund von psychischen Erkrankungen. Das hat einen Ursprung. Meiner Meinung nach liegt er auch dort. Immer mehr Isolierung. Da kriegen wir alle irgendwann die Krise, nicht nur Männer, sondern auch Frauen.

Du hast die Verbindlichkeit angesprochen, die zurückgeht. Ist das ein allgemeiner Trend oder sind vor allem Männer oder Frauen nicht mehr so verbindlich?

Ich sehe da einen allgemeinen Trend. Frauen sagen natürlich, es sind die Männer. Nur habe ich es selbst oft genug erlebt und bekomme auch viele Zuschriften von Männern, dass es mittlerweile Verbindlichkeit bei den Frauen genauso wenig gibt. Vielleicht gibt es sie auf dem Land noch mehr, keine Ahnung. Ich wohne in Frankfurt und erlebe da eine sehr starke Unverbindlichkeit.

Man lernt sich kennen, tauscht sich aus, ist vielleicht sogar verabredet und das Treffen kann noch zehn Minuten vorher abgesagt werden, wenn es überhaupt abgesagt wird. Und das ist eine Tendenz, die ich nicht besonders erbaulich finde.

Ja, absolut. Wenn wir die Generationen anschauen: Ich bin Baujahr 70, du bist zehn Jahre jünger als ich. Siehst du einen Trend, dass sich das Mannsein neu definiert? Dass die jüngeren Männer, also deine Generation und noch ein paar Jahre jünger, deutlich anders ticken als die Älteren, 50plus?

Da gibt es auf jeden Fall eine Tendenz. Ich habe letztes Jahr einen Vortrag von einem Soziologen gehört. Und er hat gesagt, dass die Entscheidungsschwäche ein Kennzeichen der neueren, jüngeren Generation ist. Entscheidungen wurden dieser Generation immer abgenommen. Man will keine Entscheidungen mehr treffen. Männlichkeit heißt: Man kann Entscheidungen treffen und steht nicht vor dem Supermarktregal und überlegt eine Viertelstunde, welche Sojamilch die beste ist.

Die Verbindlichkeit spielt auch eine Rolle. Man will maximale Flexibilität am Arbeitsplatz und überall. Das heißt: Stärkere, längere Bindungen verlieren an Bedeutung. Da sehe ich eine ganz klare Tendenz. Der Mensch braucht aber diese Bindungen als soziales Wesen. Wir sind dafür gemacht. Und deshalb verlieren viele den Halt. Viele haben eine Sinnkrise und suchen nur und vergessen dabei das Finden. Das ist dann natürlich auch irgendwann ermüdend.

Ich habe selber erwachsene Kinder und erlebe es auch, dass das Angebot für sie zu groß ist. Das Studienangebot ist heute wesentlich größer als noch vor 20, 30 Jahren. Die Supermärkte, die Du angesprochen hast, sind größer als vor 20, 30 Jahren. Du gehst heute ins Restaurant und kannst nicht aus zehn Gerichten, sondern aus 40 Gerichten auswählen. Diese riesige Auswahl, vielleicht auch im Dating-Markt, kann einen überfordern. Ist das auch ein Trend?

Die Entscheidungsparalyse ist ein Trend, weil wir einfach zu viele Optionen haben und dann gar nicht mehr wissen, was wir machen sollen. Entscheidungen funktionieren wie ein Muskel. Man braucht auch Ruhe für gute Entscheidungen. Und wenn wir den ganzen Tag schon so ermüdet sind durch Entscheidungen auf Social Media – wem folgen, wem entfolgen, wen liken… das sind ja alles unbewusste Mini-Entscheidungen – dann werden die wichtigen Fragen vielleicht ohne die nötige Energie und Klarheit beantwortet. Und da sehe ich einen großen Trend, dass wir zu viele Ablenkungen haben vom Wesentlichen. Und da, wo es drauf ankommt, da fehlt dann die Energie, die Zeit und der Fokus. Dann haben wir ein Leben aus Belanglosigkeiten. Das finde ich sehr, sehr schade und ich würde mir wünschen und mich freuen, wenn wir da wieder zurückkommen zu dem, was wir alle brauchen: mehr Verbindlichkeit, mehr Verbindung, mehr tiefer gehende Beziehungen, mehr Frustrationstoleranz. Und: Weniger ist mehr.

Männercoach & Podcaster Niko Nees
Männercoach & Podcaster Niko Nees (Foto: Nu.Motion)
Du hast gerade Social Media angesprochen. Das siehst Du auch kritisch. Die Wahrnehmung wird durch Social Media oft negativ beeinflusst. Es ist unverbindlich. Die Leute klicken einen schnell weg oder swipen mal schnell drüber. Du nutzt aber natürlich auch, wie jeder andere, für Deinen Podcast oder auch Dein Coaching-Angebot Social Media. Wo ziehst Du da für Dich persönlich die Grenze?

Ich nutze es auch und komme nicht daran vorbei, das ist ganz klar. Aber ich sehe ja selbst die Auswirkungen wie einen fehlenden Fokus. Ich muss das Handy dann bewusst weglegen. Man darf sich nicht darin verlieren. Ich habe es stummgeschaltet, sonst gibt es ein permanentes Dauerfeuerwerk an Likes, Kommentaren et cetera.

Ich finde es nicht optimal, nur ich kenne keinen anderen Weg, mein Projekt in die Reichweite zu bringen, also bin ich darauf angewiesen. Vor dem Podcast habe ich keinerlei Social Media privat genutzt.

Und die Grenze ziehe ich dahingehend, dass viele Menschen mehr wollen. Ich bekomme oft Anfragen: Wollen wir uns mal treffen? Leute denken, ich wäre ein Freund, weil sie mich immer hören mit der Stimme am Ohr. Auch Männer, die freundschaftlich mit mir ein Bier trinken gehen wollen. Und ich kriege schon oft Anfragen von Frauen, die mich daten wollen.

Da ziehe ich eine klare Grenze. Das will ich nicht, und ich empfinde das auch als unangenehm, das muss ich ganz ehrlich sagen, weil das für mich klare Grenzen sind, die erhalten bleiben müssen. Hier muss man aufpassen, wenn man etwas von sich zeigt, zum Beispiel in meinem Podcast Authentizität. Viele überschreiten dann eben diese Grenze, weil sie nicht mehr wahrnehmbar ist.

Kommen wir zu Dir persönlich. Wer hat Dich denn in Deinem Mannsein stark geprägt, so wie Du heute bist?

Das war mein Opa. Der hat mich da stark geprägt. Er war Förster und hat ein Jugendwaldheim gegründet, war also auch ein Machertyp. Er hatte mich von klein auf immer überall mitgenommen. Er war sehr kommunikativ und hat in dem Jugendwaldheim viele empfangen, vom Bundespräsidenten über die Loki Schmidt, die Frau von Helmut Schmidt, bis zu allen möglichen Ehrengästen. Und ich war immer neben meinem Opa. Er hat ganz ungezwungen mit den höchsten Persönlichkeiten Kontakt gehabt. Das war für mich prägend, weil er total verbindlich und wertschätzend war. Er hat immer Interesse gehabt und war dabei noch humorvoll und sehr menschlich eingestellt. Das war für mich auf jeden Fall das größte Vorbild und das wird es auch bleiben, bis zum letzten Tag.

Du bietest den Podcast „Mann sein“, aber auch Coachings und Workshops an. In welchen Punkten, glaubst Du, haben Männer besonderen Bedarf, sich weiterzuentwickeln? Wir haben jetzt schon öfters die Worte Authentizität, aber auch Verbindlichkeit von Dir gehört. Wo brauchen Männer Entwicklung?

Selbstbewusstsein ist für viele ein Riesenthema. Hier liegt der Kern. Auf dieses Thema kommt man bei Coachings oder auch in Workshops immer wieder zurück. Selbstbewusstsein ist das Hauptthema bei Männern und bei Frauen.

Das nächste Thema: inneres Kind, die Prägungen aus der Kindheit. Heute denkt man: Das weiß ja jeder. Aber es gibt Menschen, die sich noch nie groß damit auseinandergesetzt haben. Und es spielt eine sehr, sehr große Rolle in unserem Leben, was in der Vergangenheit war. Man soll sich nicht in der Vergangenheit verlieren, aber der Blick auf sie lohnt sich, denn sie hat Auswirkungen auf das gesamte Leben. Und sich als Mann auch mal die Zeit nehmen, da hinzuschauen, gewisse Dinge in sich zu klären und zu verstehen, was hat das für einen Einfluss auf meine jetzigen Beziehungen, Freundschaften, auf mein Selbstbild. Damit kann man sehr viel erreichen. Bei tiefer gehenden Problemen ist natürlich eine Therapie angesagt, aber ein Coaching hilft dann, wenn man im Leben steht und gerne ein paar Impulse hätte, um an der einen oder anderen Stelle weiterzukommen.

Du hast gerade Selbstbewusstsein als erstes großes Thema angesprochen. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber im beruflichen, auch im privaten Umfeld, wenn man an den Männern nicht so nah dran ist, erlebe ich ganz viele Männer über die Generationen hinweg sehr selbstbewusst. Gerade die jüngeren Männer stehen im Saft, und man denkt sich als 50-jähriger, man kann sich von ihnen noch eine Scheibe bezüglich Selbstbewusstsein abschneiden. Aber da erlebst Du einen besonderen Mangel. Also scheint viel Fassade zu sein, was wir erleben?

Da ist sehr, sehr viel Fassade und sehr, sehr viel Show dabei. Man muss hinter die Kulissen schauen, auf Themen wie offene Kommunikation, ungezwungen auf andere zugehen, auf Werte. Darauf, ob man „bitte“ oder „danke“ sagt. Das sind Kleinigkeiten, aber darin zeigt sich das wahre Selbstbewusstsein. Oft ist es eine Fassade und ein gewisser Auftritt.

In dem Vortrag, von dem ich vorhin gesprochen habe, ging es auch darum, dass die jüngere Generation sehr stark Anleitungen fordert, auch vom Arbeitgeber, und nicht mehr so gerne Führungsverantwortung übernimmt, sondern lieber die Qualität in der Freizeit sucht. Und da gibt es natürlich einen Bedarf, denn eine Person müssen wir alle führen: Das sind wir selbst. Und das kann Coaching auch vermitteln: Wie wir wieder eine Führungsposition in unserem Leben einnehmen und uns nicht die ganze Zeit fremdbestimmt fühlen.

Genau: Eigenverantwortung, Eigensteuerung versus Fremdsteuerung. Ein häufiges Thema in der heutigen Zeit. Ich erlebe Dich als einen stark reflektierenden Mann, der über das eigene Leben und über das Leben anderer Männer nachdenkt. Jetzt gibt es aber eine Art Gegenbewegung, wie eine Konterrevolution, um das alte Bild der Männer zu festigen, sogenannte Alpha-Männer-Coaches. Was machen diese Coaches und wie siehst du diese Bewegung? Ist das ein großer Trend oder eher eine kleine Nische von Männern, die sich einfach gegen die Entwicklungen stemmen?

Das ist schon eher ein größerer Trend, den ich auch gar nicht ins negative Licht rücken will. Das ist einfach nicht mein Thema. Bei mir geht es darum, etwas Nachhaltiges zu schaffen. Ein junger Mensch wird wahrscheinlich von den Inhalten eines Alpha-Coaches eher angesprochen als von meinen. Da muss ich mir auch nichts vormachen. Aber irgendwann kommt er an den Punkt, wo er erkennt: Das war der Irrweg. Und dann wird er in die Tiefe schauen. Jeder Mensch kommt irgendwann an den Punkt, wo er in die Tiefe schaut, wenn er sich reflektiert. Einige kommen auch nie dorthin, das ist dann schade.

Aber diese Coaches holen die Leute dort ab. Viele Männer sind unsicher geworden, weil es mit den Frauen nicht läuft. Die Frauen haben quasi „die Immobilie“ im Angebot, und die Männer sind diejenigen, die Interesse haben. Jetzt wollen sie einfache Tipps haben. Ich gebe keine einfachen Tipps. „Sich reflektieren? Inneres Kind? Prägung? Oh nee, hör mir damit auf!“ „Brust raus? Ah ja, okay! Schreiben und drei Tage warten und sich nicht melden? Ah ja! Drei, vier Frauen zeitgleich kennenlernen? Okay!“ Das sind Tipps, die bei diesen Männern eher ziehen.

Jeder Mensch muss sich irgendwann überlegen: Was ist mein Ziel im Leben? Mein Ziel ist es nicht, möglichst viele Frauen rumzukriegen und abzuschleppen. Mein Ziel ist es, eine stabile, feste Bindung aufzubauen und qualitativ hochwertige Freundschaften zu pflegen. Und das will ich mit meinem Podcast vermitteln.

Was von Alpha-Coaches gesagt wird, zum Beispiel zum Thema Anziehung, das stimmt zum Teil. Das ist nicht nur Quatsch, was da erzählt wird. Ich schaue mir sie ab und zu auch an, damit ich weiß, was da vorkommt.

Jeder muss für sich entscheiden, was er wo für sich rauszieht. Aber ich will kein Leben – Stichwort Authentizität –, in dem man ständig diese Knöpfe drücken muss, damit eine Beziehung zustande kommt und am Leben bleibt. Das ist mir persönlich zu anstrengend. Deshalb will ich vermitteln, wie man ein Leben führt, das einem guttut, und wie man dadurch eine gute Ausstrahlung entwickelt und die richtigen Menschen anzieht.

Männer vor Abendhimmel
Foto von Rafael Garcin auf Unsplash
Es ist ja auch furchtbar anstrengend, wenn Du immer, wie du gesagt hast, bestimmte Knöpfe drücken musst. Das kannst Du auf Dauer auch nicht aufrechterhalten. Irgendwann bröckelt das, und es kommt der wahre Joachim oder der wahre Niko zum Vorschein. Und dann muss das auch noch tragen.

Richtig. Es ist einfach anstrengend und hat keine Nachhaltigkeit.

Ich weiß, dass Du Deinen Podcast in der Pandemie gestartet hast. Und ich weiß auch, dass die Pandemie für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene besonders schwierig war und psychische Spuren hinterlassen hat, wie Depression oder Angststörung. Welchen Eindruck hast Du von Deiner Zielgruppe? Haben Männer durch die Pandemie auch was davongetragen? Ist die Verunsicherung noch größer, ist die Unverbindlichkeit noch größer geworden?

Das sagen mir viele. Ich habe neulich mit jemandem gesprochen, und der hat gesagt, es hat sich dahingehend verändert, dass die Menschen noch mehr isoliert sind und noch mehr unter dieser Käseglocke gefangen sind. Das ist auch mein Eindruck, wenn ich durch Frankfurt laufe, dass die Leute noch mehr im Smartphone versunken sind. Das war die letzten Jahre schon eine Tendenz. Ob das mit Corona zu tun hat, weiß ich nicht. Aber klar waren viele zu dieser Zeit mehr in den sozialen Medien unterwegs. Für viele war das der einzige Kontakt zur Außenwelt. Und das hat natürlich noch mal was verändert und die Tendenz befeuert. Wo die Reise jetzt hingeht, ist die Frage.

Ich war vor kurzem auf dem Geburtstag meines Neffen. Er hatte die Meta-Brille geschenkt bekommen, und ich habe sie mir auch mal aufgesetzt. Das passt ganz gut zu dem Thema, weil die Leute sich immer mehr in dieses Paralleluniversum verlieren. Ich bin mit dieser Brille im Zimmer zweimal fast gestolpert, obwohl ich auf derselben Stelle stand, weil es so realistisch war, virtuell durch Räume zu gehen und die eigene Hand vor dem Gesicht zu sehen. Das ist ja erst der Anfang. Irgendwann sind wir alle nur noch daheim und bewegen uns mit Avataren. Und das hat Corona natürlich mit befeuert.

Auch das Homeoffice, viele wollen noch mehr Homeoffice. Das hat Vor- und Nachteile. Aber irgendwo brauchen wir auch das direkte Miteinander, die Kommunikation mit den Kollegen und nicht, dass jeder nur alleine daheim in Jogginghose hockt und die Tage verschwimmen. Das ist alles mal schön und gut, aber auf Dauer – meiner Meinung nach – auch nicht das Optimum.

Wie gehst Du in Deinen Workshops oder auch im Coaching vor? Wie ermutigst du Männer zur Selbstreflektion und persönlichem Wachstum? Hast Du bestimmte Ansätze oder Werkzeuge?

Mein Hauptpunkt ist, dass ich auch viel von mir erzähle. Ich habe festgestellt: Damit öffnet man immer Türen. Meine engsten Freunde haben ähnliche Themen wie ich. Das wussten wir aber bis zu dem Zeitpunkt nicht, an dem ich etwas von mir erzählt habe.

Und das mache ich auch in Workshops oder im Podcast oder auch auf Instagram, damit die Leute sehen, dass ich kein Messias bin, der von oben herab kommt, sondern dass ich verschiedene Dinge einfach erlebt habe, auch schmerzhafte. Ich habe mir ein Wissen angeeignet und glaube, damit kann ich anderen Abkürzungen zur Verfügung stellen. Thema Abkürzung: Ich ermutige dazu, indem ich komplexere Dinge so einfach wie möglich darstelle. Nicht einfacher, wie schon Einstein gesagt hat, man solle Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Um dann Verständnis zu bewirken.

Ein Workshop schaut zum Beispiel so aus, dass wir uns ganz langsam dem Thema, beispielsweise inneres Kind, nähern, und diese Punkte so aufbereitet sind, dass die Teilnehmer sich damit identifizieren können. Beim letzten Workshop wurde es sehr emotional, weil das nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern auch mal in die Tiefe geht. Das kommt ja heute oft zu kurz, weil wir uns den ganzen Tag nur in Oberflächlichkeiten verlieren.

Indem ich auch etwas von mir preisgebe, entsteht ein Raum, wo Vertrauen besteht. Und Vertrauen ist die erste oder wichtigste Münze auf dem Weg zur Heilung, zum besseren Verständnis und dafür, sich zu öffnen. Ich lege die Punkte inneres Kind, Selbstbewusstsein, Unterbewusstsein einzeln dar und zeige, wo sie herkommen. Was für Mächte wirken in uns? Warum zeigen wir gewisse Verhaltensweisen? Weitere Themen sind der erste Eindruck, Körpersprache. Ich verknüpfe diese Punkte mit einem roten Faden, und stelle mein Wissen, in das ich Jahre investiert habe, Menschen in ein paar Stunden zur Verfügung und zwar so, dass der Kern der Aussagen nicht verloren geht. Am Ende baue ich immer eine Wiederholung ein.

Mein Ziel liegt darin, Menschen eine Brücke zum besseren Verständnis zu bauen, indem sie nicht mit Informationen überschüttet werden und dann am Ende vollkommen überfrachtet rausgehen und zumachen. Ich möchte Informationen so aufbereiten, dass man sich darin wiedererkennt, einen Teil davon annehmen und reflektieren kann. Es soll nie aufgezwungen rüberkommen, weil sonst ein Mensch, der noch nicht so weit ist, eventuell zumacht. Viele Erkenntnisse müssen wir selbst machen, um uns für eine Veränderung zu öffnen.

Wie viele Männer sitzen in diesen Workshops?

Das ist unterschiedlich, aber wenn es qualitativ hochwertiger sein soll, wäre eine Zahl zwischen fünf und 15 ideal, weil dann jeder zu Wort kommt und eine Interaktion stattfindet. In einem Riesensaal mit zu vielen Menschen geht genau das verloren. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass dann, wenn dieser Austausch zustande kommt, sich eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Man sieht dann auch: Ah, der andere hat dasselbe Thema wie ich. Das habe ich in Einzelcoachings und auch in Gruppen festgestellt: Alle haben dieselben Themen. Das ist wirklich hochinteressant. Wenn man auf die Prägungen zu sprechen kommt, das innere Kind, Selbstbewusstsein… sind alle immer ganz erstaunt, dass das genau wie bei ihnen ist, weil uns das alle verbindet.

Das kommt auf die Person an. Der eine ist schon so weit und traut sich, für andere ist es eine Riesenhürde, etwas vor anderen Menschen zu sagen. Und dann jemanden dahin zu zwingen, macht auch keinen Sinn. Man muss sich einfach dafür bereit fühlen. Das sind beides gute Räume. Das eine ist eins zu eins, was es vielleicht einfacher macht, sich zu öffnen. Wenn jemand schon weiter ist oder mit der Einstellung reinkommt „kein Problem für mich“, dann ist die Gruppe das Richtige. Aber bevor man das mit sich alleine ausmacht, ist der Weg „einzeln“ erstmal positiv.

So baue ich ja auch alles auf. Es gibt den Podcast, den man jederzeit anonym und kostenfrei hören kann. Da kann man sehen – und hier kriege ich auch die entsprechenden Rückmeldungen –: Dem Niko, dem Experten oder dem Gast ist es genauso gegangen wie mir.

Den Podcast kann man auf Instagram verfolgen, und einige machen das über Wochen und Monate und schreiben mir dann. Weil sie dann Vertrauen gefasst haben. Vielleicht sind dem einen oder anderen Dinge in der Vergangenheit passiert, durch die das Vertrauen beschädigt wurde. Wenn sie dann Vertrauen haben, gehen sie den Schritt und buchen vielleicht ein Gespräch. Und so kommt die Zusammenarbeit Stück für Stück einfach zustande. Deswegen kann man die Frage nicht pauschal beantworten.

Meine Botschaft an jeden ist, dass wir alle verschiedene Dinge im Leben brauchen. Nicht nur Luft zum Atmen, Nahrung und Wasser, sondern ein Miteinander: Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Anerkennung. Der Mensch ist abhängig davon. Das brauchen wir Menschen. Und ein bisschen Wertschätzung saugen Menschen auf wie ein Schwamm.

Es ist nicht so schwer, diese Wertschätzung rüberzubringen und zwar, indem man Fragen stellt und zuhört. Also Fragen aus Interesse stellt, nicht nur „Wie geht’s?“, und man dann nur „gut“ als Antwort erwartet und alles andere schnell wegwischt. Sondern, dass man mal zuhört und niemanden abfertigt. Und wenn man eine Frage stellt, sich die Zeit nimmt und das Handy mal weglässt. Wieder Aufmerksamkeit, Fokus auf das Gegenüber und die wichtigste Botschaft: Einfach sich angewöhnen, dass es immer eine Person gibt, die am wichtigsten ist. Da meine ich jetzt nicht nur uns damit, sondern die Person, die gerade vor uns steht. Ob das die Dame an der Kasse ist, der Postbote, der Kollege/die Kollegin, Partner/Partnerin, ein Freund – vollkommen egal.

Und nicht nur den ganzen Tag gedankenverloren, mit Kopfhörern im Ohr und pausenlos den Blick ins Smartphone gerichtet wie ferngesteuert herumlaufen. Auch heute früh wieder – ich war schon einkaufen – habe ich Leute an der Kasse stehen sehen, die nicht mal da die Kopfhörer rausnehmen, wenn sie bezahlen und die Kassiererin „Guten Tag“ sagt. Es kommt nichts, weil man es nicht mehr hört. Diese Aufmerksamkeit, diese minimale Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die sollten wir wieder öfter anderen schenken. Dann kommt auch viel zurück.

Männercoach & Podcaster Niko Nees
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Mehr Selbstbewusst-sein und Authentizität: Mit dem Männercoach Niko Nees.

Niko Nees, Coach für Authentizität und Selbstbewusstsein, hat eine Mission: Er will Männern durch seinen Podcast „Mann sein“ und durch Workshops dabei helfen, ihre wahren Ziele zu finden und ihr volles Potenzial zu entfalten. In der Episode spricht er darüber, was Männlichkeit für ihn bedeutet, welche Männer-Generation besonders unter Entscheidungsschwäche leidet und welche Kraft das Teilen auch schmerzhafter Erfahrungen hat.

Interessante Links:

Niko Nees‘ Podcast und Coaching-Angebot: https://www.niko-nees.de/

Beitrag „Sturm im Mann: Die Kraft und Herausforderung von Wut in der Lebensmitte“:

https://maennerlebensmitte.de/sturm-im-mann-die-kraft-und-herausforderung-von-wut-in-der-lebensmitte/

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