In der Lebensmitte kann es passieren, dass man nach vielen Jahren in einer festen Beziehung wieder Single wird. Zum Beispiel Sören Bauer*, den die Frau nach 20 Ehejahren verlassen hat. Oder Thomas Rogalla**, der seine Frau an den Krebs verloren hat. Man ist plötzlich wieder auf dem Dating-Markt. Aber die Welt des Werbens hat sich massiv verändert in den letzten zehn Jahren. Online-Dating verspricht nicht nur schnelles und zielgenaues Glück, sondern auch eine schier unbegrenzte Auswahl an Partnerinnen und Partnern. Joachim Zdzieblo spricht mit der Sozialpsychologin Dr. Johanna Degen darüber, warum gerade für Männer in der Lebensmitte die goldene Zeit auf Dating-Apps beginnt. Sie erklärt, welche Fehler Männer häufig machen und welchen Strategien zum Erfolg führen, wenn man schon länger auf der Suche ist. Ein aufschlussreiches und humorvolles Gespräch für alle, die in der zweiten Lebenshälfte ihre Chancen im Dating-Dschungel optimieren wollen.
Eine Umfrage unter Studierenden in den USA ergab im letzten Jahr, dass 8 von 10 Studierenden keine Dating-App nutzen. Ist die Zeit der Dating-Plattformen schon wieder vorbei, wenn selbst junge Menschen sie kaum mehr nutzen?
Ich kenne diese Zahlen und ich kenne auch den Diskurs. Der kippt ja im Moment. Man sagt: Tinder ist irgendwie ermüdend, wir sind Tinder-erschöpft. Das Ende der Datingplattformen ist gekommen. Aber wir sehen das in den Zahlen und in der Nutzung noch nicht. Ich weiß nicht, wie diese Studie zusammengekommen ist. Wir können sie hier nicht so reproduzieren. Ich sage: Ja, wir sind vielleicht an dem Punkt, wo sich wieder etwas ändert, aber das ist habituell noch nicht zu sehen, also unser Verhalten hat sich noch nicht geändert. Und wenn man Menschen fragt: Wo könnte man denn jemanden noch kennenlernen? Dann wird oft gesagt: Ich wünschte, es wäre im öffentlichen Raum, aber man kann es nur über die App. Also sie wird quasi als einziger Ort der Annäherung erlebt und da wird dann eben auch gesucht.
Okay. Das heißt, irgendwie sind die Leute Tinder- und Bumble-müde, aber sie distanzieren sich noch nicht davon. Man sieht das noch nicht konkret im Verhalten.
Das liegt auch daran, dass man es eben als alternativlos erlebt. Ich glaube, wenn man die Wahl hätte und das Gefühl hat: Wenn ich in die Stadt gehe, kann ich gut jemanden kennenlernen, oder ich gehe auf eine App, dann würde man sich eher von der App distanzieren. Wir sehen das auch ganz viel, dass man die App dann löscht. Man möchte es nochmal anders probieren. Dann will es irgendwie nicht klappen, und man lädt sie doch nochmal herunter. Und das bis zu viele, viele Male. Viele löschen die App immer montags und freitags lädt man sie sich doch wieder runter. Also, wir ringen. Und wenn man dann fragt: Wie wünschen Sie es sich? Dann ist die Antwort: Ich wünschte, es wäre offline möglich. Und wenn man fragt: Wie, glauben Sie, dass es wird, dann wird gesagt: Ich glaube, es kommt eine neue App, die vielleicht besser ist. Oder in Metaverse wird es besser.
Ich glaube, das ist noch nicht vorbei.
Das ist noch nicht vorbei… Wir haben gerade über junge Menschen gesprochen. Wie stark nutzen denn Middle-Ager, also Menschen zwischen 40 und 60 Jahren, Dating-Plattformen?
Sehr stark. Es wird zwar immer wieder gesagt: Die jungen Leute und ihre Dating-Apps! Oder, dass bestimmte Milieus auf den Apps sind. Das sehen wir überhaupt nicht: Quer durch die Gesellschaft, quer durch alle Altersstufen sind ganz viele Menschen in den Apps. Die Hälfte aller Beziehungen, die in den letzten fünf Jahren zustande gekommen sind, sind über Dating-Apps zustande gekommen. Also man kann schon sagen: Apps haben sogar Freundeskreis und Arbeitsplatz abgelöst. Und das sehen wir auch durch die Altersklassen durch.
Und dann muss ich auch sagen – wir sind ja hier in einem Männer-Podcast -: Für die Männer läuft es ab der Lebensmitte sehr viel besser als davor. Also, die beste Zeit, die kommt jetzt noch. Davor sind sie nämlich stark im Nachteil, und die Frauen selektieren sehr hart. Ab der Lebensmitte haben Männer einen Vorteil.
Und woran liegt das? Das würde mich jetzt brennend interessieren.
Das ist super, oder?! Ich sage das auch oft jüngeren Männern, die verzweifelt sind, mit einem gewissen Augenzwinkern, sie müssen nur warten. Das ist natürlich nicht so lapidar gemeint, wie es klingt.
(lacht) In 20 Jahren bist auch Du auch mal dran…
Das liegt tatsächlich daran, dass bei Männern viele Dinge positiv gewertet werden, die bei Frauen sehr negativ ins Gewicht fallen. Also: Älter werden ist eher attraktiv. Status haben ist eher attraktiv. Frauen mit Status sind schlimmer. Ältere Frauen mit Status sind noch schlimmer.
Mit Status?
Also Frauen mit Kapital, die eine Karriere haben. Mit dem Grad der Bildung wird der Mann attraktiver. Bei einer Frau ist das nicht gleichermaßen so. Und dann ist es auch so, dass alleinerziehend sein Vätern positiv ausgelegt wird, aber Müttern nicht. Männer haben auch noch eine größere Range, also sie können auch auf jüngere Frauen zugreifen und sind auch für jüngere Frauen interessant und attraktiv. Und deswegen sagt man: Ab der Lebensmitte fängt für Männer die goldene Zeit in den Dating-Apps an.
Ja, yippie yeah! Da könnten wir jetzt eigentlich schon fast aufhören (lacht), aber ich habe doch noch ein paar Fragen... Das heißt, es müsste doch heutzutage mit diesen neuen Möglichkeiten viel leichter sein, eine neue Partnerin oder einen neuen Partner kennenzulernen also noch vor 20 oder 30 Jahren. Kann man das auch aus wissenschaftlicher Sicht so sagen?
Das kann man tatsächlich nicht so sagen. Interessanterweise, obwohl es für die Männer tendenziell besser läuft ab der Lebensmitte, gelten trotzdem auch die negativen Effekte. Und die, die da schon mal aktiv waren, die werden das alles wiedererkennen. Wir fangen also meistens ziemlich begeistert mit den Dating-Apps an und schon innerhalb der ersten zwei bis sechs Wochen nimmt die Begeisterung ab. Die Begeisterung kommt daher, dass man denkt: Wow, da ist ein Riesenmarkt und alle sind sofort verfügbar. Quasi um die Ecke könnte jemand Aufregendes warten oder es wartet der aufregende Sex oder die neue Beziehung. Alles ist niedrigschwellig zu erreichen.
Nach sehr kurzer Zeit bemerkt man, dass damit auch andere Dinge kommen, zum Beispiel eine Unverbindlichkeit. Ich habe ein Match und bin begeistert, habe auch meinen Dopamin-Kick, aber irgendwie zählt das Match nichts, also die Bedeutung ist sehr gering. Das Match wird wieder aufgelöst, man wird geghostet, also ohne Rückmeldung gelöscht, quasi verlassen.
Dann wird man ständig verlassen. Das ist man vielleicht auch nicht so gewöhnt: Dieses ständige In-Kontakt-Treten, das keine Verbindlichkeit hat. Dazu kommt eine hohe Parallelität, das heißt, wir schreiben in der Regel mit mehreren gleichzeitig. So fangen wir nicht an, aber da werden wir von den Apps reinsozialisiert, weil es da so abläuft. Und dann nimmt meistens die Begeisterung über die vielen Möglichkeiten ab und irgendwann sagen die Leute: „Mensch, da finde ich ja keine/keinen. Die App an sich verhindert das Kennenlernen.“ Das wiederum stimmt allerdings auch nicht, sondern es ist eher so: Die Art, wie wir uns auf den Apps verhalten, führt dazu, dass es einem schwieriger vorkommen kann, jemanden zu finden, obwohl da so viele Möglichkeiten sind. Die Apps an sich verhindern es nicht.
Das wäre schon meine nächste Frage: Verhalten sich denn ältere Menschen, also 40plus, auf den Apps anders als jüngere?
Ja, sie verhalten sich anders und klüger, würde ich fast sagen. Oder nicht klüger, sondern zielführender, ohne das zu bewerten. (lacht) Und zwar insofern, als dass sie sich nicht ganz so sehr von der Logik einverleiben lassen. Die Logik wäre zum Beispiel, sich möglichst oberflächlich zu zeigen, zum Beispiel mit einem Filter, und wenig von sich preiszugeben. Das macht auch viel Sinn, weil man ja oft bewertet wird und auch oft verletzt und verlassen wird. Da macht es Sinn, nicht viel preiszugeben.
Ab der Lebensmitte ist uns das zunehmend egal und wir trauen uns mehr, uns echt zu zeigen, zum Beispiel, weil man ein anderes Standing hat oder, weil man es gar nicht so wahrnimmt. Man denkt, ich muss nicht noch drei Filter übers Bild legen, damit man keine Falte sieht, sondern man hat mehr so ein Standing: Ich zeige mich jetzt so und hoffe, dass jemand mich so nimmt, wie ich bin. Ich verschönere mich nicht.
Ja, man zeigt sich so, wie man ist.
Und das funktioniert auf Apps viel besser, weil man dann auch selber weniger Stress hat. Junge Leute, die sich sehr optimieren, haben einen wahnsinnigen Stress, jemanden zu treffen, und im Antlitz des anderen die Enttäuschung zu sehen. Das ist ja auch verständlich. Und das machen wir ab der Lebensmitte nicht mehr so in dem Ausmaß. Es ist wirklich eine gute Idee, sich so zu zeigen, wie man ist, mit dem Haus und dem Hund, die man wirklich hat, und mit Falten.
Es gibt ein paar Tricks, die helfen. Vor allem Männer können sich beim Profil ruhig ein bisschen Mühe geben. Das ist manchmal ein bisschen lapsch. Und Frauen beklagen das.
Lapsch heißt: wenig Informationen, schlechtes Bild, wortkarg auf gut Deutsch, wie man es auch im echten Leben kennt?
Ja, manchmal auch nur ein flapsiger Spruch. Der scheint einem dann sehr originell, ist er aber nicht. Machen Sie keinen Spruch ins Profil. Geben Sie sich ruhig ein bisschen Mühe mit dem Foto, das machen die Frauen auch. Nicht im Sinne eines Filters, sondern zum Beispiel in die Kamera gucken. Vielleicht schießt auch ein anderer das Bild. Das wirkt viel attraktiver, wenn es kein Selfie ist. Frauen finden Selfies nicht schön.
Man hat dann zumindest den Hinweis, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, ein schönes Bild zu schießen. In die Kamera gucken, Zähne zeigen, ein bisschen die Körpersilhouette erkennen lassen – das kommt sehr gut an. Man kann sich ruhig ein bisschen bemühen, und das finden Frauen dann auch ganz toll. Und klar: Ein Profiltext, in dem man Ausschluss reinschreibt, kommt sehr negativ an. So was wie „bloß keine Raucherin“, „nur Katzenliebhaber“ oder „ich mag keine Berge“. Das ist ein bisschen negativ, aber Flirten darf zumindest in der Anfangszeit fröhlich und unbeschwert sein. Also besser die positiven Aspekte formulieren, wie „suche jemanden, der auch gerne draußen ist“, „ich bin nicht Nichtraucher, aber open-minded“ oder ähnliches. Besser einen positiven Text und keine Sprüche.
Das ist ja schon fast so wie bei einer Bewerbung auf einen Job. Man muss positive Dinge voranstellen und keine negativen. Das hat sonst einen gewissen Beigeschmack. Unterm Strich: Ein Mann wird in der Lebensmitte Single. Würden Sie ihn auf jeden Fall dazu ermutigen, auf Dating-Apps nach einer neuen festen Beziehung zu suchen?
Mhhh, joa… (zögert).
Jetzt kommt’s zum Schwur.
(lacht). Ich würde zumindest nicht davon abraten. Wir sehen schon in den Daten, dass viele Menschen sich wünschen, Dating würde wieder im öffentlichen Raum stattfinden. Ich sage eher: Wir haben keine Technik-Dystopie. Das ist nicht alles apokalyptisch nach dem Motto: „Die Dating-Apps werden alles verhindern.“ Eher: Warum nicht sowohl als auch?
Viele Frauen wünschen sich auch, angesprochen zu werden. Mal jemandem diskret die Nummer zustecken. Mal ein bisschen zu lange angucken, lächeln. Gucken: Wirft sie den koketten Blick? Lächelt sie auch lang zurück? Da kann ich Ihnen versichern: Viele wünschen sich mehr Flirt, auch wenn es zu nichts führt. Es ist schön gesehen zu werden. Fast jeder möchte gesehen werden. Und wir denken immer: Uh, ich bringe es kaum über mich, den Weg zu machen, jemanden anzusprechen. Klassische Theorie ist ja: Die Frau wirft den Blick, der Mann macht die Meile, muss gehen.
Ich kann Ihnen sagen: Selbst, wenn es nicht so geschickt läuft, dann freuen die meisten sich trotzdem darüber. Deswegen denke ich eher: sowohl als auch. Warum nicht im öffentlichen Raum eine Flirtkultur re-etablieren? Ruhig Komplimente schicken, ruhig lange angucken, nicht aufs Handy gucken. Wenn man viel arbeitet und man hatte eine lange Woche und für Freitag noch Konzerttickets: Warum nicht das ins Profil schreiben und da jemanden suchen? Denn da ist die Wahrscheinlichkeit total hoch und es hat auch den Vorteil, dass man außerhalb des Milieus und aus dem nächsten Tal jemanden findet, ohne dass man hinfahren muss. Ich gebe eher eine Sowohl-als-auch-Empfehlung.
Okay, dann schließen wir beides nicht aus. Aber ich könnte mir eine Gruppe von Männern vorstellen, die sehr introvertiert sind und mit Dingen, die Sie gerade angesprochen haben, wie Blickkontakt aufnehmen oder ein bisschen flirten, ein Thema haben. Und für die ist eine Dating-App niedrigschwelliger. Da müssen sie keiner zuzwinkern, sondern können den Kontakt langsam anbahnen. Für die ist das wahrscheinlich besser, oder?
Es hat Vorteile. Menschen mit sozialer Angst sagen, dass sie in den Apps Kontakte in einem sichereren Rahmen knüpfen können. Und das ist ja auch total in Ordnung. Aber wir haben auch eine Online-Dating-Erschöpfung und manche Leute sagen, dass sie dort auch nicht gut in Kontakt kommen. Oder sie sind sehr viel in der App und schreiben auch mit vielen, aber es kommen keine Treffen zustande. Und das ist eine ernsthafte Gemengelage, bei der man sich auf jeden Fall selber beobachten muss: Geht’s mir noch gut mit dem, was ich mache? Wenn es mir nicht mehr gut geht, sollte ich die Strategie ändern.
Denn ganz oft machen wir dann noch mehr desgleichen. Das ist ein bisschen skurril, aber das ist die Tendenz. Es läuft nicht gut, dann swipt man noch mehr. Dann bezahlt man für Premium, damit man noch mehr swipen kann. Dann schreibt man noch mehr. Aber wenn Ihre Strategie gerade zu Ungunsten von Ihnen läuft, dann bin ich eher dafür, dass Sie flexibler handeln. Überlegen Sie: Haben Sie wirklich ein gutes Bild? Vielleicht schreiben Sie einfach mal auf eine andere Art. Viele fangen dann an, Standard-Nachrichten zu schreiben, weil es sich sonst vielleicht nicht lohnt oder man nicht so viele schafft. Und da sehen wir, dass die quantitative Logik nicht gut ist, auch nicht für die Begegnung. Sondern dann fangen wir an zu übersehen, was eigentlich da ist, weil wir falsch gucken.
Also gerne online, aber immer im Beobachtungsmodus: Geht es mir gerade gut und habe ich eine zielführende Strategie oder wurde ich von der App einverleibt und swipe wie verrückt, ohne dass etwas Positives dabei rumkommt? Samstags statt auszugehen, sitze ich nur noch am Handy. Das sind Zeichen, bei denen ich gegensteuern würde. Ein bisschen swipen, um Dates zu haben? Ja! Aber ganz viel swipen, statt Dates zu haben und dann Online-Beziehungen zur führen, das würde ich nicht machen.
Dann zieht das Leben an einem vorbei.
Ich sage immer: Man wird zum Rohmaterial der Technik. Dann konsumiert einen die Technik. Und das ist wirklich ein ernstzunehmender Zustand, in dem auch viele Leute sagen: Sie bereuen die Zeit, die sie auf den Apps verbracht haben. Das ist ein unangeeignetes Leben. Das ist wirklich nicht schön.
Auf den Dating-Apps ist der Ton mitunter rau. Man bekommt auch viel Ablehnung, und das ist schon bedeutungsvoll für einen. Ich sage: Besser die Technik benutzen, um zu leben. Und wenn es ein schlechtes Date ist, dann war man immerhin draußen, hat ein veganes Schnitzel gegessen und Musik gehört. Dann war es zwar trotzdem ein schlechtes Date, aber man war im Leben.
Genau, man hat was erlebt. Sie haben gesagt: schönes Bild, bisschen mehr Text, keine flapsigen Sprüche. Wie kann man sich noch auf Online-Dating vorbereiten? Oder gibt es einen Kurs, den man machen sollte, damit man mal Land gewinnt? Oder was würden Sie einem raten, der sich noch gar nicht auskennt?
Ein Kurs? (lacht) Den haben wir nicht.
“How to use Dating-Apps”… (lacht)
Dating-Coachings? Ich weiß nicht. Lieber mal in eine gute Therapeutin investieren, die eigenen Sachen aufarbeiten und dann mit vollem Herzen selber auf eine App gehen statt, dass ein anderer einem das Profil überarbeitet. Das macht ja auch die KI. Dann bekommen wir wieder die Entfremdung in dem Profil.
Besser wäre, sich selber in die eigenen Hässlichkeiten reinzutrauen, zu gucken, wer ich eigentlich bin, mit den Ex-Beziehungen aufzuräumen und dann ein Leben zu gestalten, in das es auch schön ist, einzuladen. Auch wenn Sie beispielsweise ganz unerfolgreich daten und lange alleine sind, dann ist ein guter Hack, ein guter Tipp: Machen Sie all das, was Sie sich wünschten zu machen, wenn Sie eine Partnerin/einen Partner hätten. Fahren Sie nach Schweden, machen Sie die Kanutour, kaufen Sie sich ein Mountainbike, gehen Sie auf Konzerte. Es ist etwas Anderes, ob man einlädt in ein Leben, in dem man selbst die meiste Zeit auf der Dating-App, Social Media oder beim Gaming oder in der Arbeit verbracht hat oder ob man schon das Leben lebt, in das es schön wäre, eingeladen zu werden. Das hat einen ganz anderen Sog.
Ich würde eher sagen: Bei sich aufräumen, mit Begleitung oder ohne, je nachdem. Man kann sich nicht selbst überwinden, das stimmt schon, aber man kann schon einiges tun. Und dann sich ein bisschen Mühe geben mit einem schönen Profil und dort reinschreiben: „Ich habe meinen Kram aufgeräumt. Ich möchte nicht die gleichen Fehler reproduzieren. Meine neue Frau soll nicht meine Mutter sein. Ich habe mir mal die Mühe gegeben, mit Zähnen zu lächeln.“ Dann, glaube ich, resoniert das mit vielen Leuten.
Sehr gut… Sie haben vorher ein Phänomen beschrieben, dem man im Online-Dating begegnet: Ghosting. Gibt es noch andere Phänomene, die ich kennen sollte, damit ich präpariert bin?
Ja, das hat sich schon längst über Online-Dating hinaus verbreitet. Die Dating-Logik, die wir etablieren, reicht ins Offline-Dating hinein. Wenn Sie offline jemanden finden, werden Sie von den gleichen Mechanismen getroffen. Da zählt Ghosting dazu. Wir ghosten ja alles. Wir ghosten Podcast-Aufnahmen, unsere Therapeutin, Handwerker, die wir selbst bestellt haben und Rechnungen von den Stadtwerken. Wir ghosten leider ganz generell. Das fühlt sich meistens weder für einen selber noch für das Gegenüber gut an. Okay, Stadtwerke rufen dann Inkasso, aber ansonsten ist das wirklich schwierig. Ghosting gab es früher auch, wenn der Vater nicht vom Zigarettenholen heimgekommen ist. Das war selten. Auf Ghosting müssen Sie sich gefasst machen.
Was Ihre Psyche dann macht, ist, die Lücke, die entsteht, wenn man sich nicht von Ihnen trennt, zu füllen mit negativen Vornamen, die Sie eh schon von sich haben. Wenn Sie denken: Ich bin ein alter Lumpen und sowieso nicht liebenswürdig, und Sie werden geghostet, dann bietet Ihnen Ihre Psyche leider an, genau das zu denken. Und da würde ich Sie einladen, zu denken: Okay, die hatte vielleicht sechs Dates gleichzeitig, hat die App gelöscht, hat eigene Themen oder war vielleicht noch in einer Beziehung.
Es muss nicht an mir liegen.
Es kann, aber muss nicht. Und wahrscheinlich nicht an dem Narrativ, was Sie schon Ihr Leben lang verfolgt. Da muss man aber aktiv gegen anarbeiten.
Was trifft uns noch? Paralleles Dating. Das hat sich etabliert. Viele finden es nicht romantisch, viele beklagen es sogar, aber wir machen das. Wir schreiben mit mehreren gleichzeitig. Dazu habe ich gar keine moralische Haltung, aber was ich hier auf jeden Fall rate, ist: Sobald Sie es nicht mehr möchten, sagen Sie es. Ich habe in der Paartherapie viele Menschen, die sagen: „Wir haben solche Probleme, weil ich vorher aufgehört habe, andere zu daten, und das andere kommt mir vor wie Fremdgehen.“ Es ist für das Gelingen von Beziehungen total wichtig, dass Sie besprechen, welcher Moral Sie folgen. „Komm, wir löschen die App gemeinsam!“ „Ab jetzt schreiben wir nicht mehr parallel!“ Sie fühlen es wahrscheinlich nicht synchron und dann fühlen Sie sich betrogener als Sie es sind und das kann ganz viele hässliche Sachen mit sich ziehen.
Auch so etwas wie: „Ist es eigentlich schon Betrug, wenn einer noch eine Dating-App hat oder ist es für uns ganz normal?“ Solche Sachen kann man ruhig besprechen. Das sind auch schöne Gespräche.
Was einem noch begegnet, ist der harte Ton. In Dating-Apps geht’s manchmal rau zu. Die Leute haben wenig Zeit und sind schon selbst sehr viel bewertet worden. Sie schreiben eine romantische Nachricht und zurück kommt: „Scheiß Haare!“ Dann seien Sie nicht traurig; das ist der Kultur in den Dating-Apps geschuldet.
Und dass wir quantifiziert suchen. Das ist auch eines der Dinge, die Annäherung verhindern. Ich würde nicht setzen auf die vielen, vielen Dates. Man kann ja auch mal eine Woche viele Dates haben, um sich zu validieren. Oder mal mit drei Leuten Sex haben oder was Sie gerade brauchen für Ihr Ego, aber dann würde ich vom Quantifizierten wieder weggehen. Das tut uns auf Dauer nicht gut. Lieber Qualität statt Quantität, nachdem man einmal geguckt hat, dass man noch was wert ist.
Was Sie vorher gesagt haben, ist ja auch bezeichnend. Wenn jetzt ein Mann zuhört und sich sagt: „Ich mache da nicht mit, ich verzichte komplett auf Online-Dating.“ Trotzdem beeinflusst Online-Dating, wie Social Media allgemein, das Datingverhalten auch offline, also auch im analogen Raum. Ich kann mich davon nicht frei machen, richtig?
Man kann sich davon nicht ganz frei machen. Sie wissen ja um Online-Dating. Alle Menschen in Beziehungen, auch Sie mit Ihrer Langzeit-Ehe, wissen: Ich könnte jetzt auf die Toilette gehen und mir die App herunterladen und Frauen angucken – oder Männer.
Alles, was wir leben und aushandeln, gestaltet sich vor dem Hintergrund der Technik, auch wenn wir sie nicht haben. Wenn Sie kein Smartphone wollen, weil Sie Social Media gefährlich und toxisch finden, dann hat trotzdem Ihr Sohn ein Smartphone und hält Ihnen das ständig vor die Nase oder betreibt Fubbing, unterbricht also Ihre Unterhaltung mit gleichgültigem SMS-Angucken. Wenn Sie fragen „Was machst Du da?“, sagt er auch noch „Nichts!“ Das stimmt ja auch auf eine Art.
Wir kommen aus der Logik nicht ganz raus, aber wir können ja verhandeln, wie stark wir sie uns anziehen. Sie hören sich das jetzt an und sagen „Ich ghoste niemanden, weil ich Ghosting nicht schön finde und verabschiede mich“. „Ich möchte nicht mit der gleichen Strategie weitersuchen, wenn sie mich unglücklich gemacht hat. Ich gehe auch offline gucken.“ Oder: „Ich weiß jetzt, ich verhandele sofort: Wir schreiben beide nur uns und treffen uns in zwei Wochen zum Konzert. Hast Du Lust, auch so viel Zeit mit mir zu verlieren?“ Vielleicht sagt die andere Person: „Ja, mir geht die Parallelität auch richtig auf die Nerven.“ Und schon haben Sie ein spannendes Gespräch. Wir sind ja nicht Opfer der Logik. Wir sind Reproduzenten. Hier gibt es eine gewisse Freiheit. Das kann auch spielerisch sein.
Sie haben in einem Interview gesagt, man solle sich beim Online-Dating auch verletzlich zeigen. Welche Art von Verletzlichkeit ist im Netz noch passend? Es gibt ja sicher Themen, die entweder zu intim oder zu schwer sind, als dass man sie im Internet teilt.
Ich meine nicht die Tyrannei der Innerlichkeit. Sie schulden niemandem alle Informationen, der Sie dann ghostet. Was ich damit meine, ist, dass wir es geschafft haben, uns so sehr selbst zu schützen, dass uns die anderen unnahbar oder langweilig vorkommen. Wenn wir nichts mehr preisgeben, dann kann uns auch niemand kennenlernen. Das kann man aber navigieren. Wenn wir Profiltexte analysieren, dann steht in 46 Prozent aller Profile „Ich mag Wein und Sonne.“ Da sage ich: Das ist keine Info.
Das mag ich auch.
(lacht) Das sind Nonfirmationen. Dafür würde ich keinen Platz verschwenden.
Sie müssen nicht schreiben „Ich habe eine multiple Persönlichkeitsstörung und bin ganz vulnerabel.“ oder „Wurde immer verlassen. Wenn mich noch eine verlässt, dann droht mir das Lebensende.“ So was nicht. Keine Tyrannei der Innerlichkeit.
Etwas, was persönlicher ist als „Ich mag Strand und eine Flasche Wein.“ Etwas, mit dem man Sie kennenlernen kann, wie „Ich bin Wanderer, stehe gerne um 4 Uhr auf und lese nur Bücher; habe keinen Fernseher“ Das sind gute Hinweise. Okay, nerdiger Typ – auweia oder juhu!
Ein paar nerdige Infos kann man schon geben. Wenn es dann abschreckt, war es eben nicht die Richtige. Oder auf der Gegenseite ist jemand, der auch nerdige Seiten hat, dann passt es ja wieder ganz klasse.
Die Falle ist ja: Ich stelle mich möglichst likeable dar, so dass mich die meisten mögen. Dann habe ich eine ganz gute Match-Quote, aber werde nicht dafür geliebt, dass ich nie fernsehe und um vier gern auf den Berg klettere. Sie kriegen dann Ihre ewigen Probleme. Sie finden vielleicht jemanden, der Langschläfer ist, und haben schon das erste ewige Problem. So etwas kann man nicht ändern. Und ewige Probleme hat jede Beziehung, aber man kann sich auch überlegen, welche man sich ins Haus holt. Da lohnt es sich, ein bisschen zu zeigen, wer man ist. Zum Beispiel auch Kinder nicht zu verheimlichen. Das machen viele. Wann sagt man es dann?
Man bringt sie zum zweiten Date mit.
Vielleicht. Oder zum siebten. Oder man hat es aus Versehen zwei Jahre nicht erzählt. Das ist dann super komisch, aber im Einzelfall nachvollziehbar (lacht). Dann lieber üben, zu sich zu stehen, und im besten Fall findet man jemanden, der einen dafür toll findet.
Im Bayerischen gibt es einen etwas bösen, aber treffenden Begriff für Menschen, die innerlich nicht das halten, was sie äußerlich versprechen. Man nennt sie „laare Hosn“ – also eine „leere Hose“. Wie kann ich in Dating-Apps herausfinden, ob einer oder eine ein Blender oder gar ein toxischer Mensch ist?
Das ist einfach. Schnell treffen und der Intuition folgen. Sie merken das. Das, was wir verlernt haben, ist, dem zu folgen. Wir vertrauen uns nicht. Bei Beziehungen, die schlecht verlaufen, sagen beide oder einer oft. „Das habe ich irgendwie gleich gewusst“ oder „Schon bei der Hochzeit hatte ich Nein gefühlt, aber Ja gesagt“ (lacht) Wenn Sie mal ehrlich gucken, sich die Zeit nehmen und überlegen: Ist das eine schöne Unterhaltung? Fühle mich gerade eingeladen auf das Date? Freue ich mich? Oder habe ich ein komisches Gefühl? Dann lassen!
Ich meinte, dass man es schon online irgendwie erspüren oder erahnen kann.
An der Art. Vielleicht nicht jede oder jeden, aber dann ist ja noch nichts verloren. Sie treffen sich nur an sicheren Orten, ist vielleicht für Männer nicht ganz so wichtig. Aber Frauen sollten nicht zu jemandem um 22 Uhr in die Wohnung gehen, und der schließt ab. Man muss sich ja nicht an dunklen Orten nachts treffen. Treffen Sie sich an öffentlichen Orten und gucken, ob es passt.
In den Online-Beziehungen, in denen man zu lange online verharrt, haben wir ganz viel Projektionsfläche. Also wir sehen in dem anderen das, was wir gerne hätten. Wenn man sich dann im echten Leben trifft, ist es oft sofort klar: „Das passt nicht“ oder „Juhu, das passt noch viel besser, als ich dachte“. Ich würde schauen, ob die Annäherung so verläuft, dass ich dem anderen vertraue. Ist es eindeutig, dass beide Interesse haben? Werde ich nicht hingehalten? Werde ich aber auch nicht unter Druck gesetzt? Die meisten Leute zeigen schnell, wie sie sind.
Wenn schon die fünfte Nachricht kommt „Wieso hast Du gestern nicht geantwortet?“ und Sie fühlen schon die Enge, können Sie gleich sagen „Mir wird gerade eng. Das liegt vielleicht gar nicht an Dir. High Five. Lass uns frohen Mutes weiterziehen. Alles Gute Dir!“ Im Online-Dating gibt es ja noch mehr Leute, das ist das Positive.
Das wäre eine gute Art.
Man kann beim Online-Dating loslassen. Das ist das Gute. Wenn man schon merkt, dass die Gesprächsdynamik komisch ist, oder es wird gleich vorwurfsvoll oder „opferig“ oder was einen alles triggern kann, würde ich auf die Intuition hören. Auch wenn Sie keinen Finger drauflegen können und es nicht benennen können, aber Gänsehaut bekommen, dann sagen Sie „Ich kriege Gänsehaut. Ich glaube, das liegt an mir. Tschüss.“
Also der inneren Stimme oder den eigenen Gefühlen folgen, in sich hineinhören. Kommen wir nochmal zum Anfang unseres Gesprächs zurück: Wenn schon die jungen Menschen mehr und mehr Dating-Plattformen meiden: Welche Zukunft hat in Ihren Augen das Online-Dating in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Ich glaube, wir machen es noch eine Weile. Im Moment diversifiziert sich die App-Landschaft. Es kann sich lohnen, die App zu wechseln. Wenn Sie sich auf Tinder nicht wohlfühlen, gehen Sie auf Bumble oder Okcupid. Es gibt auch fetisch-spezifische Apps für Nischenanliegen. Das können Sie auch spielerisch ausprobieren. Die Apps sind auch erstmal kostenfrei.
Es ist auch unterschiedlich, welches Milieu sich auf welcher App befindet. Wenn Sie sich auf Okcupid super unwohl fühlen, kann es sein, dass Sie bei Tinder total erfolgreich sind, weil wir uns nach Milieu sortieren. Es kommen auch immer mehr Apps. Es gibt beispielsweise regionale Dating-Apps, ich glaube, auch eine bayerische. Das kann auch einen gewissen Witz haben. Ich glaube, die App-Landschaft diversifiziert sich noch etwas. Und dann kann ich ja auch nicht hellsehen
Ich sehe im Verhalten nicht den großen Umschwung ins Offline-Dating zurück. Viele junge Leute lernen sich vielleicht nicht auf der Dating-App kennen, aber dann über Social Media oder andere Foren. Es mag sich zurückentwickeln und kann eine Wellenbewegung sein, aber wenn Sie in den nächsten Jahren geschieden werden, dann können Sie es ruhig noch über eine App versuchen.
Ich hoffe nicht. (lacht)
Man muss sich auch nicht beeilen. Viele gehen Zweit- und Drittehen sehr hastig ein, nach dem Motto „Ich habe Angst, mich möchte niemand mehr.“ Da würde ich den Menschen mehr Ruhe gönnen. Man kann eine Weile gucken und wenn es so sein soll, dann bleibt es ja auch. Bevor man die gleichen Muster nochmal in der nächsten Ehe abhandelt. Eine Weile die Ungewissheit aushalten. Flirten darf leicht sein. Das kann eine schöne Phase sein, wenn wir uns nicht unter Druck setzen.
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Liebe in der Lebensmitte: Online-Dating für die Generation 50plus
In der Lebensmitte kann es passieren, dass man nach vielen Jahren in einer festen Beziehung wieder Single wird. Man ist plötzlich wieder auf dem Dating-Markt. Aber die Welt des Werbens hat sich massiv verändert in den letzten zehn Jahren. Online-Dating verspricht nicht nur schnelles und zielgenaues Glück, sondern auch eine schier unbegrenzte Auswahl an Partnerinnen und Partnern. Was man dabei beachten soll, darüber spricht Joachim Zdzieblo mit der Sozialpsychologin Dr. Johanna Degen. Sie beleuchtet, warum für Männer in der Lebensmitte die goldene Zeit in den Dating-Apps anfängt, welche Fehler Männer begehen und welche Strategien helfen, wenn man schon länger auf der Suche ist.
Interessante Links:
- Johanna Degen auf Instagram: https://www.instagram.com/teach_love.de/
- Buch „Swipe, like, love“ mit der Studienzusammenfassung von Johanna Degen: https://psychosozial-verlag.de/programm/1000/3287-detail