Bist Du auch schon mal vor einer schwierigen Entscheidung gestanden und wusstest nicht, wie Du sie fällen sollst? Vielleicht bist Du gerade in einer solchen Situation. Oliver Teufel hilft Menschen in Entscheidungssituationen, Blockaden zu lösen, neue Perspektiven zu gewinnen und eine konsequente Entscheidung zu treffen. Der Entscheidungscoach klärt auf, warum es Kopf und Bauch für eine gute Entscheidung braucht, ein Sicherheitsboden sinnvoll ist und meist ein ganzes Team bei der Findung mitredet.
Oliver, welche Entscheidung ist Dir mal richtig schwergefallen?
Es gibt viele Entscheidungen, die mir im Laufe meines Lebens schwergefallen sind. Am schwersten sind mir eigentlich immer berufliche Entscheidungen gefallen. Also die Entscheidung, was jetzt dran ist, beruflich zu tun. Ich habe öfters die Stelle gewechselt. Ich war ursprünglich evangelischer Pfarrer, bin dann in die Kinder- und Jugendarbeit gegangen, hatte mich danach eine Zeit lang beurlauben lassen, um als Coach und Supervisor zu arbeiten. Das waren jeweils Schritte, in denen ich mich selber auch intensiv mit Entscheidungsprozessen beschäftigt habe.
Aber da hast Du keinen Berater an Deiner Seite gehabt, der Dich gecoacht und Dich an die Hand genommen hätte, oder?
Während meiner letzten beruflichen Entscheidung habe ich eine Ausbildung als Supervisor gemacht. Da ist man ja in Ausbildungsgruppen, und die Ausbildungsgruppen sind immer dankbar, wenn es Themen gibt, an denen sie sich abarbeiten können. Und da habe ich den einen oder anderen Berater gehabt, der mich unterstützt hat.
Okay, dann hast Du schon die Ausbildung dafür genutzt. Mit welchen Entscheidungsthemen kommen denn Menschen auf Dich zu?
Das ist eine riesige Bandbreite von Themen, mit denen Menschen zu mir kommen. Viele Menschen in der Lebensmitte möchten beruflich nochmal neue Schritte gehen, sei es zu einer neuen Firma wechseln oder etwas ganz Anderes machen, zum Beispiel sich selbstständig machen.
Ich habe auch schon Menschen entscheidungsgecoacht, die in Ruhestand gegangen sind und sich überlegen, ob sie ihr Haus verkaufen und woanders hinziehen sollen oder gleich in etwas gehen sollen, was sich in ein betreutes Wohnen umwandeln lässt. Auf der anderen Seite der Alterspyramide findet sich die Studentin, die das zweite Mal ihr Studium abgebrochen hat und sich überlegt, was sie jetzt machen soll.
Berufliche Entscheidungen in der Lebensmitte sind tatsächlich immer ein großes Thema. Die Entscheidungswissenschaftlerin Verena Utikal hat beschrieben, dass wir einen Großteil unserer Entscheidungen nicht kognitiv, also mit dem Kopf, sondern intuitiv, mit dem Bauch, treffen. Wozu braucht es dann noch Entscheidungscoaching, wenn wir ohnehin das meiste automatisch entscheiden?
Ich gehe davon aus, dass es gut ist, die Kognition und die Intuition in eine gute Balance zu bringen. Oder anders gesagt: Es gibt Menschen, die sehr von der Intuition geleitet entscheiden und andere, die sehr rational entscheiden, die sich Argumente pro und contra aufschreiben. In meinem Ansatz ist die ideale Entscheidung die, die beides miteinander in Einklang bringt oder die von beiden inneren Systemen – Intuition und Kognition – getragen wird.
Und das integrierst Du auch in Deinen Coachings, dass Du den Bauch, aber auch die Ratio sprechen lässt?
Genau. Ich versuche in den Coachings, das in den Mittelpunkt zu rücken, was bei den Menschen nicht so oben aufliegt. Also sehr rationale Menschen versuche ich in Kontakt zu bekommen mit der Intuition und Menschen, die eher aus dem Bauch raus schnelle Entscheidungen treffen, versuche ich die rationalen Argumente abwägen zu lassen.
Das klingt schlüssig. Warum fällt es vielen Menschen oder den meisten Menschen schwer, Entscheidungen zu treffen?
Das ist eine gute Frage. Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass wir jeden Tag über 20.000 Entscheidungen treffen, jeder von uns. Und 99,9 Prozent dieser Entscheidungen treffen wir ohne großes Nachdenken, sehr spontan oder sehr selbstverständlich. Aber dann gibt es immer wieder Entscheidungen im Leben, bei denen innere Ambivalenzen auftreten, wo etwas für und etwas gegen beide Wege oder sogar drei Wege spricht. Wo es Emotionen gibt, die mit dem einen und mit dem anderen verbunden sind. Und dann kann es sein, dass sich eben so etwas verhakt. Und sobald mein innerer Anteil beispielsweise sagt „ Geh Weg A, zieh nach Hamburg, zieh zu Deiner neuen Partnerin und suche Dir einen neuen Job“, dieser Anteil dann stark ist. Und in dem Moment, wo ich in diese Richtung tendiere, wird der andere Anteil stark, der sagt „Nein, bleib doch bitte in München und bei Deiner Familie und beim alten Job“.
Es ist ein bisschen plakativ schwarz-weiß, aber es geht darum, es zu verdeutlichen. Das sind so die inneren Anteile, die dann jeweils stark werden und miteinander ringen.
Machen wir es mal einfach. Wir haben zwei Optionen und ich treffe eine Entscheidung. Dann plagt einen ja oft die Frage, ob die andere Option nicht die bessere gewesen wäre. Wie schaffst Du es, mit Deinen Klienten aus dieser Ambivalenz, aus diesem Dilemma, rauszukommen?
Bei Entscheidungen geht es darum, sich klarzumachen, dass es vermutlich keine Variante gibt, von der ich hundertprozentig am Ende überzeugt bin. Sonst würde mir das nicht schwerfallen. Egal für welchen Weg ich mich entscheide, ich muss die sogenannten Opportunitätskosten, also einen Preis für eine Entscheidung, für einen Weg, den ich gehe, zahlen.
Ich rede mit den Leuten, wie viel innere Prozent sie denn eigentlich brauchen, um diesen einen Weg zu gehen. Wir werden nicht zur hundertprozentigen inneren Klarheit kommen, sondern vielleicht zu 70 Prozent, zu 80 Prozent. Manchmal sind es auch nur 55 Prozent innere Klarheit. Aber ich meine, im Parlament würde man sich manchmal wünschen, man hätte 55 bis 60 Prozent. Und dann geht es darum zu gucken: Was biete ich diesen inneren Anteilen an, die repräsentativ stehen für die anderen 40 Prozent? Und ich rechne gleichzeitig aber auch damit, dass, sobald ich mich für einen Weg entschieden habe, die andere Seite wieder groß wird.
Macht das Sinn für Dich? Ist das nachvollziehbar?
Es klingt wie nach einfachen Mehrheiten im Parlament. Eine einfache Mehrheit reicht auch. Und es klingt für mich danach, dass die anderen 45 Prozent auch gehört werden möchten. Und vielleicht kann man diesen 45 Prozent irgendwo entgegenkommen, auch wenn man sich für die andere Option entscheidet.
Ja, genau. Es gibt ein Modell des inneren Teams, mit dem ich manchmal arbeite, bei dem es darum geht zu schauen, was ich denn für innere Anteile, für innere Teammitglieder habe, die für etwas Bestimmtes stehen. Da gibt es einen, der für die Finanzen steht, der andere steht für die Karriere, der dritte steht für die Beziehung, der vierte für Freizeitgestaltung. Das kann man sich wie ein Team vorstellen. Jeder bringt da seine Stimme zum Vorschein. Und wenn ich mich dann für die eine Variante entscheide, muss ich gucken, dass ich dem Sicherheitsbeauftragten in mir, der rebelliert und sagt „Hey, das ist doch ganz schön riskant“, etwas anbiete. Also dass ich mir zumindest überlege, was ein Fallback-Szenario sein könnte oder eine Fallschirmlösung, wenn es schiefgeht. Ich führe dann mit mir selber eine Verhandlung und sage „Okay, das ist vielleicht der unsicherere Weg, dieses Bedenken ist total berechtigt und deshalb mache ich mir Gedanken darüber, wie ich damit umgehe.“
Ist es vielleicht auch sinnvoll, neben einem Plan A, für den ich mich entscheide, einen Plan B zu haben, falls Plan A doch in die Hose geht? Oder sagst Du: Nein, so ein Hintertürchen sich offen zu halten, macht keinen Sinn, weil ich mich dann nicht richtig entscheide?
Ich glaube, dass es auf alle Fälle gut ist, sich etwas zu überlegen, wenn Plan A scheitert. Oder lass mich nochmal anders ansetzen: Jede Entscheidung, die wir treffen, ist im Prinzip eine Wette auf die Zukunft. Ich kann mir das heute noch so gut überlegen. Ich weiß nicht, wie die Zukunft verlaufen wird, ob ich krank werde, ob das und jenes passiert und so weiter. Und von daher ist es gut, sich heute zu überlegen, wie ich mir etwas in der Zukunft vorstelle. Um auch in drei Jahren sagen zu können: „Im Jahr 2024 habe ich alles abgewogen, was mir zur Verfügung stand.“
Es gibt Dinge, die liegen so im Nebel des Ungewissen der Zukunft. Und dann ist es sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen: „Wenn das mit meiner Selbstständigkeit nicht klappt, was kann ich tun, um das abzusichern?“ Ich kann zum Beispiel mit meinem alten Arbeitgeber verhandeln, dass ich zurückkommen kann oder was auch immer, damit ich dann nicht mein Haus verkaufen muss, weil ich es nicht mehr abbezahlen kann.
Ich muss schon eine klare Entscheidung treffen, aber es ist wichtig, eine Sicherheitslinie oder einen Sicherheitsboden einzuziehen. Das ist auch total hilfreich, um nicht nach zwei Wochen wieder ins Zweifeln zu kommen, ob das jetzt vielleicht doch die richtige Entscheidung war.
Also Plan B darf durchaus mitgerechnet werden.
Ja, genau. Wenn Menschen wegen Entscheidungen zu mir kommen, sage ich ihnen: „Schreib Dir auf, warum Du Dich so entschieden hast, wie Du Dich entschieden hast.“ In drei Wochen weiß man das nämlich häufig nicht mehr und denkt nur noch an die Dinge, die dagegensprechen.
Das zweite ist: „Überlege Dir Wenn-Dann-Szenarien.“ Also, wenn das und das eintritt, dann mache ich das und das, um wirklich vorbereitet zu sein. Und das hilft auch dabei, bei einer Entscheidung zu bleiben. Ich glaube, die meisten Menschen haben gar nicht so das Problem, eine Entscheidung zu treffen, sondern haben ein Problem damit, bei dieser Entscheidung zu bleiben und sie nicht nach drei oder fünf Stunden oder am nächsten Tag wieder umzuschmeißen. Das ist, glaube ich, das größere Problem.
Du hast schon gesagt, man soll die Aspekte rund um eine Entscheidung verschriftlichen. Was benötigt man sonst noch als Voraussetzung, um eine gute Entscheidung treffen zu können? Eine Pro-Contra-Liste, bestimmte Informationen…?
Die meisten Leute oder eigentlich alle, die zu mir ins Entscheidungscoaching kommen, haben schon mal eine Pro-Contra-Liste geschrieben. Die kann man dann noch nach bestimmten Kriterien verfeinern.
Eine der ersten Fragen, die ich immer stelle, ist: „Hast Du alle Informationen, die Du brauchst, um diese Entscheidung zu treffen?“ Es ist nämlich ganz häufig so, dass sich Menschen mit Entscheidungen beschäftigen, aber dann sehr schnell merken, sie müssten erst mal wissen, was die Wohnung in Hamburg überhaupt kostet oder wie dieser Arbeitsplatz genau aussieht oder ähnliches. Das ist total wichtig, sich mal hinzusetzen und zu überlegen, ob ich denn alles weiß, was ich als Basis brauche, um diese Entscheidung zu treffen.
Da wird es Dinge geben, zu denen ich die Informationen nicht bekommen kann, aber zu vielen Dingen kann ich die Informationen bekommen. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Und ein zweiter Schritt ist dann zu überlegen, wenn ich zwei Wege vor mir habe: Gibt es vielleicht eine dritte oder vierte Möglichkeit? Gibt es Zwischenlösungen? Welche Alternativen gibt es noch?
Im dritten Schritt gehen wir ran an die Frage, wie gut ich in Kontakt zu meiner Intuition komme und welche zugrundeliegenden Werte ich eigentlich habe. Und so versuche ich, eine wertbasierte Entscheidung zu treffen. Wenn ich weiß, Freiheit und Unabhängigkeit sind mir total wichtig, dann kann ich auf eine Entscheidung anders gucken, als wenn Sicherheit und Beständigkeit wichtige Werte für mich sind.
Die Werte sind wahrscheinlich auch die Punkte, die eher den Bauch entscheiden lassen, weil diese unbewusst im Menschen vorhanden sind, oder?
Ja, genau. Und da geht es darum, sich das einfach bewusst zu machen. Was ist Dir wichtig und was steuert Deine Entscheidung?
Und auch das Thema Ängste: Bei Entscheidungen spielen ja auch immer Ängste eine Rolle. Ich sage da immer: Es ist nicht feige, sich von seinen Ängsten leiten zu lassen, sondern Ängste sind wertvolle Hinweisgeber auf bestimmte Dinge. Und dann kann ich mir überlegen, wie ich mit diesen Hinweisen umgehe. Also: solche Ängste nicht wegdrängen, sondern gucken: Worauf weist mich diese Angst eigentlich hin? Und das kann ich dann gut und konstruktiv in eine Entscheidung einbeziehen.
Okay, das wäre auch eine meiner nächsten Fragen gewesen. Du gehst also ganz dezidiert auf Ängste und Sorgen ein und Ihr dividiert sie im Coaching ein bisschen auseinander, um zu schauen, ob sie ein guter Ratgeber sind, weil bestimmte Dinge vielleicht nicht in der richtigen Konstellation sind oder ob es einfach nur eine Angst vor dem Scheitern ist, die ganz allgemein ist. Wo ich nicht einen direkten Grund in mir spüre oder sehe, sondern mehr ein diffuses, negatives Gefühl.
Ja, genau. Aber auch so ein diffuses, negatives Gefühl kommt ja irgendwo her oder hat irgendwelche Anhaltspunkte. Also da würde ich sagen: Solange Du dieses diffuse, negative Gefühl nicht richtig einordnen kannst, wird es schwer, dauerhaft eine Entscheidung zu treffen. Oder zumindest solange Du nicht einen Umgang damit gefunden hast.
Ich kenne einen Menschen, der sich selbst bei kleinen Themen sehr schwer entscheiden kann, zum Beispiel ein Essen in einem Restaurant auszuwählen. Da wird erst eins ausgewählt und dann kommt das Essen und er sagt: „Ach, hätte ich vielleicht doch das andere nehmen sollen?“ Was rätst Du solchen Menschen? Sollen die nicht erstmal lernen, schneller kleinere Entscheidungen zu fällen, bevor sie große Entscheidungen treffen?
Die Frage wäre, ob sich diese Menschen auch mit großen Entscheidungen schwertun. Ich kenne viele Menschen, die große Entscheidungen relativ leicht fällen, wo ich ganz überrascht bin, und dann nicht wissen, welche Biersorte oder welches Essen sie sich bestellen sollen. Das geht manchmal komischerweise gar nicht mit einher.
Da ist nochmal die Frage der Gewichtung. Von daher würde ich jetzt nicht unbedingt sagen: Zuerst musst Du die kleinen Entscheidungen schnell treffen und dann die großen. Sondern ich würde mit solchen Menschen so arbeiten, dass ich zum Beispiel mit ihnen überlege: Was hat Dir geholfen? Welche Entscheidungen hast Du schon in Deinem Leben getroffen oder welche triffst Du permanent? Was kannst Du daraus lernen für diesen anderen Bereich der Entscheidung, in dem es Dir deutlich schwerer fällt?
Ich glaube, auch jemand, der sich im Restaurant nicht fürs Essen entscheiden kann, der hat sich ja erstmal entschieden, genau in dieses Restaurant zu gehen. Und da könnte man ja fragen: Was hat Dir da geholfen? Häufig ist es das Gefühl des Verzichts auf andere Dinge, das es schwermacht.
FOMO, Fear of Missing Out, oder?
Ja, genau, so was. Es fällt mir schwer, wenn ich jetzt das Essen bestelle, dann kann ich das andere nicht bestellen.
Entscheidungen zu treffen, große Entscheidungen zu treffen, ist schon nicht so leicht. Und dann machen wir Menschen es uns auch selber noch schwer, sich zu entscheiden. Welche Stolpersteine siehst Du in Deinem Coaching, die wir uns selbst oft in den Weg legen?
Der eine große Stolperstein ist der Glaube, ich könnte mich um die Entscheidung herummogeln. Und auch keine Entscheidung zu treffen, ist eine Entscheidung. Ich glaube, das ist ganz wichtig.
Es gibt da dieses nette Bild: Jemand steht in Frankfurt am Bahnhof und weiß nicht, ob er in den Zug nach München oder in den nach Hamburg einsteigen soll. Wenn er zu lange wartet mit der Entscheidung, dann sind beide Züge weggefahren und er bleibt in Frankfurt. Frankfurt ist auch ganz schön, aber auch das ist dann eine Entscheidung. Und das erlebe ich häufig, dass Menschen Entscheidungen so lange hinausschieben, bis es überhaupt nicht mehr möglich ist. Und das ist ja auch eine Entscheidung, zum Beispiel anderthalb Jahre noch bei dem Arbeitgeber zu bleiben, von dem man eigentlich unbedingt wegwill, weil man nicht weiß, ob man die Variante A oder Variante B wählen soll. Das ist der eine große Stolperstein.
Der zweite große Stolperstein ist, dass sich der Blick auf bestimmte Varianten verengt und dass man eine dritte, eine vierte Lösung überhaupt nicht in den Blick nimmt. Häufig ist es ja möglich, noch etwas Drittes zu finden oder Dinge hintereinander zu machen oder kreativ mit Leuten, die unabhängig sind, ins Gespräch zu kommen. Das kann ein Coach sein, das kann ein Freund sein, der nicht selber Aktien bei der Entscheidung im Spiel hat. Das kann total hilfreich sein, einfach nochmal zu brainstormen, was sonst noch möglich ist.
Und ein dritter Stolperstein ist sicher, irgendwann nicht mehr auseinanderhalten zu können, was mein eigener Wunsch ist und was Erwartungen oder gefühlte Erwartungen in meinem sozialen Umfeld sind. Oder: Womit will ich keinem auf die Füße treten? Und das nicht mehr auseinanderhalten zu können, das macht Entscheidungen häufig auch schwer.
Da sind wir schon beim nächsten Punkt, nämlich die Stimmen, einmal die äußeren Stimmen, wie die Stimme meiner Partnerin oder meiner Freundin, meiner Familie, aber auch innere Stimmen, die man in der Kindheit zum Beispiel mit der Erziehung in sich aufgenommen hat. Wie hilfst Du Deinen Coachees dabei, diese Stimmen auseinander zu dividieren und zu prüfen, welcher Stimme man bei der Entscheidung Gehör verleihen will und welcher nicht?
Das Erste, was für die meisten Menschen, die an dieser Stelle Schwierigkeiten haben, hilfreich ist, ist einfach mal systematisch aufzuschreiben: Du nimmst Dir ein großes Zeichenblockpapier, malst Dich in die Mitte und dann alle Personen außen rum, die einen Einfluss haben. Das können die eigenen Eltern sein, auch wenn sie schon verstorben sind. Das können die Kinder sein, das können Freunde sein, Arbeitskollegen und so weiter.
Alle wirklich mal aufschreiben und dann zu Deiner Entscheidungsfrage überlegen: Was würden die dazu sagen oder was sagen die dazu oder was fühlst Du, dass sie sagen? Häufig ist es ja so ein Gefühl: Also meine Tante fände es sicher nicht gut, wenn ich mich jetzt aus diesem sicheren Job verabschiede und stattdessen etwas Riskantes mache oder auf Weltreise gehe. Und wenn ich das dann alles im Überblick habe, was sie sagen würden oder wichtiger noch, was ich für ein Gefühl habe, was für ein Auftrag da an mich kommt, dann kann ich mich entscheiden: Lehne ich diesen Auftrag ab, nehme ich diesen Auftrag an oder modifiziere ich den Auftrag in irgendeiner Weise?
Also Auftrag von der jeweiligen Stimme, von der jeweiligen Person. Oder sage ich dann einfach: Ich vermute, Du würdest so reagieren, ich habe es gehört, aber ich will Dir kein Gewicht geben bei dieser Entscheidung?
Genau! Oder: Ja, das ist ein berechtigter Einwand. Ich möchte Dich auch regelmäßig sehen. Oder: Ich möchte mich auch um meine Eltern kümmern. Deshalb sage ich die Weltreise nicht ab, aber plane sie so, dass ich alle acht Wochen zu Hause in Deutschland bin und mit meiner Mutter einen Tag verbringe oder so. Also das wäre dann eine Modifikation, die häufig angemessen ist. Und allein schon dieses Bewusstmachen dieser Stimmen und eine Haltung dazu zu entwickeln, ist häufig total hilfreich.
Ich höre schon, da ist ganz viel Spielraum drinnen. Man denkt ja manchmal, es gibt nur A und B, dabei gibt es so viele Möglichkeiten, auch Zwischenvarianten zu sehen und auch die inneren und äußeren Stimmen, die mir Rat geben wollen oder Ansprüche an mich haben, gut abzuwägen. Welche Methoden hast Du, um Deine Coachees zu beraten? Kannst Du mal eine näher beschreiben, damit man sich vorstellen kann, wie das abläuft bei Dir?
Ich habe ein Portfolio von 10, 15 Methoden, die ich jeweils sehr individuell einsetze, je nachdem, an welcher Stelle Menschen hängen. Das eine, was ich schon beschrieben habe und ich sehr gewinnbringend finde, ist das innere Team. Ich würde sagen, diese Erhebung der inneren Stimmen, der inneren Anteile, setze ich in jedem dritten Coaching ein. Das ist eine verbreitete Methode. Es gibt noch eine Methode, die ich total gerne mache, und die heißt Tetralemma.
Das klingt erstmal ein bisschen spleenig, aber das ist häufig total weiterführend. Wenn man live arbeitet, macht man das in einem Raum. Ansonsten bitte ich die Menschen, das bei sich zuhause nachzuvollziehen. Wenn Du jetzt zum Beispiel sagst: Ich habe Variante A: „Ich soll meinen Podcast weitermachen“ und Variante B „Ich soll ihn aufhören“. Dann würde ich Dich bitten, Dich erstmal auf den Stuhl für A zu setzen und Dir vorzustellen, Du würdest jetzt den Podcast aufhören. Was für innere Bilder kommen da, was für Gefühle, was für Emotionen?
Und dann gehst Du auf den zweiten Stuhl: Du machst ihn weiter. Was kommen da für Emotionen und für innere Bilder und Gedanken? Und dann wird ein dritter Stuhl eingeführt, der „sowohl als auch“ heißt. Und ich bitte Dich, darauf hinzugehen und frei zu assoziieren: Was würde dieses „sowohl als auch“ bedeuten? Das könnte zum Beispiel bedeuten: Ich suche mir jemanden Zweites, mit dem ich den Podcast zusammen mache. Das könnte bedeuten, Du machst ein halbes Jahr Pause, Du verringerst Deinen Rhythmus, was auch immer. Es geht darum, auf weitere Ideen zu kommen.
Und dann gibt es noch einen vierten Stuhl, und der heißt „weder noch“. Also ich höre weder auf, noch mache ich weiter. Und ich bitte dich, nachzudenken, was das denn bedeuten würde. Das klingt erstmal ein bisschen absurd, aber für einige Leute ist das sehr hilfreich, mal zu überlegen, was da für Ideen kommen.
Da hätte ich tatsächlich ein Dilemma. Denn wenn ich nicht aufhören kann und ich ihn aber auch nicht weitermachen kann, hätte ich jetzt einen kleinen Knoten im Kopf. Aber da kommt was raus, sagst du?
Genau, da kommt was raus. Das ist ganz spannend. Das ist ein Modell, das aus der alten, ich glaube, griechischen Rechtsprechung kommt. Es ist ganz logisch: Wenn zwei Menschen sich streiten, dann kann der Richter entweder dem einen Recht geben oder er kann dem anderen Recht geben. Oder er kann sagen: Beide haben Recht. Oder er kann sagen: Keiner von Euch hat Recht. Das ist der Hintergrund dieser Methode. Wie gesagt, es klingt erstmal ein bisschen spleenig und nach Knoten im Kopf. Wenn Du Dich darauf einlässt und Dir ein bisschen Zeit gibst, dann kommen Ideen und Assoziationen, die aus diesem Dilemma herausführen können.
Wie lange dauert ein Entscheidungscoaching bei Dir durchschnittlich? Nehmen wir mal diese großen Themen, zum Beispiel Umzug in eine andere Stadt, neuer Job oder sich selbstständig machen.
Meistens sind das zwei bis drei Sitzungen. Ich schicke den Leuten schon vorab Materialien, mit denen sie sich ein bisschen vorbereiten können, ein paar Fragen beantworten und einige Dinge durchdenken können. Und dann treffen wir uns zwei bis drei Mal online. Es gibt dann auch immer noch Aufgaben für zwischendurch. Und dann ist das eigentlich in zwei bis drei Sitzungen gegessen.
Und à wie viele Stunden?
À anderthalb Stunden. Ich mache immer 90-Minuten-Sitzungen.
Und den Erfolg Deines Coachings bemisst Du daran, dass Deine Coaches sagen: So, ich habe jetzt eine Entscheidung getroffen? Oder kommen viele nochmal auf Dich zu und geben nach einem halben Jahr oder einem Jahr Rückmeldung und sagen: Mensch, das war klasse?
Ich sage immer am Ende des Coachings: Wenn Sie mögen, schreiben Sie mir doch eine Postkarte in einem halben Jahr oder schicken mir eine Mail. Das machen nicht alle, aber das machen einige und da bekomme ich immer positive Rückmeldungen, dass das sehr geholfen hat. Ob die anderen es einfach vergessen haben oder die Post aus Tansania, wo sie jetzt leben, verloren gegangen ist oder ob sie sich immer noch mit der Entscheidung herumplagen, das kann ich nicht sagen.
Solange sich keiner nach einem halben Jahr bei Dir meldet und sagt: Das war aber eine echt miese Entscheidung, und Sie haben mich auch noch darin unterstützt. Gut, er oder sie muss sie ja selber treffen. Also in dem Sinne bist du ja raus.
Das ist auch, glaube ich, meine Rolle. Ich nehme niemandem die Entscheidung ab oder bestärke niemanden in irgendeiner Entscheidung, sondern ich stelle einen Raum und Methoden und Fragen zur Verfügung, die dabei helfen sollen, dass die Menschen eine eigene Entscheidung treffen. Und es ist – neben Methoden und Kenntnissen – eine der großen Chancen, mit jemandem zu reden, der einfach unabhängig ist, weil man so jemanden im Umfeld normalerweise nicht findet. Mir ist es letztlich total egal, welche Entscheidung die Person trifft.
Titelfoto von Random Thinking auf Unsplash
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Lebensmitte und Wendepunkte: Mit Coaching zur richtigen Entscheidung
Bist Du auch schon mal vor einer schwierigen Entscheidung gestanden und wusstest nicht, wie Du sie fällen sollst? Vielleicht bist Du gerade in einer solchen Situation. Oliver Teufel hilft Menschen in Entscheidungssituationen, Blockaden zu lösen, neue Perspektiven zu gewinnen und eine konsequente Entscheidung zu treffen. Der Entscheidungscoach klärt auf, warum es Kopf und Bauch für eine gute Entscheidung braucht, ein Sicherheitsboden sinnvoll ist und meist ein ganzes Team bei der Findung mitredet.
Interessante Links:
Entscheidungscoaching mit Oliver Teufel: www.entscheidungscoaching.de