Rüdiger Jope kennt sich bestens mit den Lebensfragen und Herausforderungen von Männern aus. Als Chefredakteur des christlichen Männermagazins MOVO hat er den Finger am Puls unserer Zielgruppe. Joachim Zdzieblo taucht mit ihm ein in die Bedürfnisse von Midlife-Männern, die Unterschiede zwischen Ost und West und seine ganz persönlichen Erkenntnisse aus dieser spannenden Lebensphase.
Rüdiger, ich muss vorab sagen, dass ich Leser der ersten Stunde bin und ein Fan eures Magazins. Für die, die die MOVO noch nicht kennen: Wie oft erscheint die Zeitschrift und was sind die wichtigsten Rubriken?
Die MOVO erscheint viermal im Jahr, und die wichtigsten Rubriken sind ganz einfach gegliedert in Job, Beziehung, Glauben und Auszeit.
Job ist immer wichtig für uns, Beziehung sowieso. Glauben und Auszeit, auf die gehen wir später noch ein. Wie ist denn die Idee für das Magazin entstanden?
Ich arbeite bei einem Verlag, der schon über 100 Jahre alt ist und der für verschiedene Zielgruppen und Lebensabschnitte Magazine herausgegeben hat und sich viele Jahre darum gedrückt hat, ein Männermagazin herauszugeben. (lacht) Wir haben zwei Frauenmagazine, sogar Familienmagazine, Teenagermagazin, Kindermagazin, Jugendmagazin, aber mit dem Männermagazin hat man sich lange schwergetan.
Und dann kam aber irgendwann irgendjemand, der gesagt hat: Jetzt machen wir es. Jetzt haben wir eine Idee, wie wir es drehen können.
Ja, es gab zwei Diplomarbeiten, die im Grunde sagen: „Männer lesen nicht.“ Und da haben wir gedacht, jetzt probieren wir das mal aus. Wir haben eine Probenummer gestartet, die hieß „Ärmel hoch“ und war ruckzuck verkauft. Und da haben wir gedacht: Jetzt probieren wir das mit der MOVO.
Man muss dazu sagen, dass auch andere Verlage, durchaus große Publikumsverlage, schon den einen oder anderen Versuch unternommen haben, bestimmte Männermagazine herauszubringen. Es gibt immer noch Männermagazine, aber manche sind dann auch gescheitert, weil sie die Auflage nicht hinbekommen haben. Und Ihr seid jetzt seit über zehn Jahren auf dem Markt und erfolgreich: Ihr werdet von den Männern gelesen.
Ja, wir haben jetzt die 41. Nummer veröffentlicht. Und es ist tatsächlich so, dass mit uns ein renommierter Verlag auch ein Männermagazin herausgebracht hat, und das ist schon wieder eingestellt.
Ich probiere einfach als Redakteur unterwegs zu sein, an den Männern dran zu sein, an den Menschen, an den Lebenssituationen. Ich bin in der Republik unterwegs oder am Schreibtisch. Bin einfach ein Mensch, der sehr offen ist und überall die Ohren hat. Und so probiere ich, dem Männerleben nachzuspüren, was Männer bewegt und wo ich sie in Bewegung bringen kann mit den Zeilen.
Nachdem ich ja alle Magazine gelesen habe, auch wenn ich sie jetzt nicht alle im Kopf habe, weiß ich, dass Du viele Reportagen machst… Kommen wir nochmal zurück zu der Aussage dieser Diplomarbeit: Männer lesen nicht. Jetzt lesen Männer ja doch. Da stecken aber nicht die Frauen dahinter, die den Männern sagen „Bitte lies doch auch mal was mit Gehalt“?
Die Frauen stecken auch dahinter. Also unsere Erfahrung, ganz ehrlich, ist: 80 Prozent der Anrufer in unserem Service- oder Callcenter sind Frauen, die ihren Männern die MOVO schenken oder die plötzlich die Feststellung machen „Ach, das Problem `Was schenke ich meinem Mann?´ hat sich gelöst, indem ich ihm das Männermagazin schenke.“ Aber ich sage mal: Ein Magazin, was dann nicht interessant wäre oder nicht gelesen werden würde,…
…überlebt das Probeabo nicht.
Genau, das überlebt das Probeabo nicht. Und von dem her ist doch was dran, dass Männer lesen. Wir haben uns bestimmte Marker gesetzt, zum Beispiel, dass ein Artikel nicht länger als 10.000 Zeichen sein darf.
Das sind umgerechnet drei DIN-A4-Seiten?
Ja, drei, vier DIN-A4-Seiten, und vorne eine schöne Illu. Das Magazin ist relativ schlicht strukturiert, also sehr übersichtlich, nicht verschnörkelt.
Das ist vielleicht auch der Unterschied zu anderen Männermagazinen, wenn Ihr sehr kurze Beiträge habt? Oder wodurch unterscheidet sich die MOVO noch von anderen Männermagazinen? Es gibt so ein paar Platzhirsch wie GQ, Men's Health, InStyle Men, Playboy und was es noch so auf dem Markt gibt. Wo, würdest Du sagen, ist das Unterscheidungsmerkmal?
Das Unterscheidungsmerkmal ist, dass bei uns auch die Schwächen, das Scheitern, die Niederlagen vorkommen, also das unfertige Leben. Wenn man jetzt die Männermagazine nimmt, die Du gerade aufgezählt hast, nehmen wir sehr stark wahr, da geht es ums Schneller, Höher, Weiter.
Wettbewerb.
Ja, Wettbewerb. Wir wollen auch viele schöne Sachen vorstellen – und das machen wir auch – und nicht problematisieren, sondern ermutigend sein und trotzdem in diesem ermutigenden Ton auch die Tränen vorführen, den Schmerz, der so nicht zur Sprache kommt. Und so kriege ich auch immer mal wieder Rückmeldung als Redakteur, dass Männer mir sagen: Mensch, ich habe richtig geweint beim Lesen dieses oder jenes Artikels. Oder: Es hat mir geholfen, diesen Artikel über das Scheitern einer Ehe oder einer Beziehung zu lesen, und ich habe mich aufgemacht in die Beratung.

Warum ist es wichtig, dass wir Männer auch das Scheitern teilen und nicht nur diese Hochglanz-Positivaussagen „höher, schneller, weiter“? Dass wir ins Bewegen kommen?
Also ich glaube, dass es kein Klischee ist, dass es uns Männern schwerfällt, von uns zu sagen: Das ist mein Lebensschmerz, das ist mein Scheiterpunkt, da knabber ich drum herum. Wir haben alle von unserer Sozialisation eingeimpft bekommen: „Sei stark. Weine nicht. Ein Mann kennt keinen Schmerz.“ Also zumindest die Generation meiner Eltern oder meines Vaters. Wir sind alle ein bisschen schwerfällig darin, ins Gespräch zu kommen, aber im Grunde wollen wir es gerne lesen.
Ein Mann hat gerade in der MOVO seine Geschichte erzählt, wie sein kleines Kind gestorben ist. Und diesen Schmerzpunkt zu formulieren und zu sagen: Das hätte ich mir nicht vorstellen können, plötzlich einen Grabstein kaufen zu müssen, und das zu schildern, das war für ihn ein richtiger Reifungsmoment Und das hat dann aber auch wiederum Lesern geholfen, über ihre Schmerzpunkte zu schreiben oder mich anzurufen.
Psychologen sagen ja auch, dass die Frauen sich viel mehr mitteilen, auch über die nicht so gut laufenden Themen, auch über den Schmerz, über Probleme. Männer tun sich damit schwer. Ist vielleicht so ein Magazin auch eine gute Art, diese Hürden abzubauen?
Absolut. Und ich glaube, das ist das große Plus und das ist auch der Grund, warum die MOVO ankommt. Also nicht nur das Tolle und das „schneller, höher, weiter“ abzubilden, sondern die Normalität und wie Männer damit klarkommen und wie Männer vielleicht einen Weg herausfinden und wie dann das Leben auch wieder lebenswert wird. Aber ich sage mal nochmal: Wir bilden nicht nur Probleme ab. Wenn ich eine MOVO plane, habe ich immer eine Übersicht, was alles darin vorkommen soll. Und da steht dann ein Artikel „Tränen, Schmerz und Schweiß“. Aber da gibt es eben auch viele schöne Sachen. Also wir sind kein Problemmagazin.
Nein, Ihr seid kein Problemmagazin, sondern bildet das Leben ab, wie es ist. Und dazu gehört das Positive wie das Schwierige.
Genau! Und dafür treffe mich mit Menschen und spüre ihnen nach, begleite sie bei der Arbeit, gehe mit Leuten joggen, fahre mit ihnen Fahrrad, um das Leben abzubilden, was manchmal in den anderen Männermagazinen eben nicht vorkommt. Da kommt der Normalo nicht vor, sondern nur der gestählte Mann, der irgendwas ganz Besonderes macht. Aber ich bilde jetzt gerade auch ganz normale Männer in ihren Berufen ab und die mal glücklich sind.
Was mir hängen geblieben ist, war eine kleine Geschichte aus der letzten MOVO. Ein Mann in unserem Alter, Lebensmitte, der sehr spät ein neues Hobby entdeckt hat, nämlich Feuerwehrmann bei der Freiwilligen Feuerwehr. Und wie er beschrieben hat, was seine Befürchtungen waren, ob er angenommen wird von der Truppe – das fand ich super menschlich… Rüdiger, die MOVO ist seit über zehn Jahren auf dem Markt. Der Untertitel heißt „Was Männer bewegt. Was Männer bewegen.“ Du bekommst sicher viel Feedback, viele Leserbriefe. Was sind denn aus Deiner Sicht die drei Top-Themen, die Männer in der Lebensmitte beschäftigen?
Die drei Top-Themen sind, würde ich sagen, zu erleben, wie ich mein Leben ein bisschen reduziert bekomme. Also: Zu viel ist zu viel. Wie werde ich der Spannung gerecht, in der ich mein Leben zu bewältigen habe – zwischen Familie und Job und Ehrenamt und Gemeinde.
Gesundheit ist ein großes Thema. Das probieren wir ganz zaghaft anzupacken. Wir sind kein Gesundheitsmagazin, aber wollen Mut machen: Hey, tu was für Deinen Körper! Treib Sport! Geh mal zu einer Vorsorge, wovor wir Männer uns gerne wegdrücken.
Und das Thema Beziehung. Die Kinder sind vielleicht schon aus dem Haus oder aus dem Gröbsten raus, und dann taucht plötzlich die Frage auf: Wie geht es jetzt weiter? Habe ich Freunde? Wie kann die Partnerschaft in die nächste Reifungsstufe kommen? Oder eben auch, dass Beziehungen gescheitert sind und Männer vor einem Scherbenhaufen stehen und jetzt nochmal neu anfangen müssen.
Also ich würde sagen: Ein Thema ist das Management der Ressourcen: Wie komme ich mit den geringeren Ressourcen, die ich habe, klar? Thema Nummer 2 ist Gesundheit. Das fängt an, ein bisschen kribbelig zu werden. Ich bin Läufer und nehme wahr, dass Du in meiner Generation – ich bin jetzt 55 – zwischen 45 und 60 als Normalo nie aufs Treppchen laufen kannst, weil in dieser Altersklasse die meisten Läufer sind. Da scheinen die Männer nochmal anzufangen und zu sagen „Jetzt muss ich aber was tun“, wenn der Umfang des Körpers wächst. Und das dritte Thema sind Beziehungen.
Du hast vorhin die Rubriken erwähnt. Was steckt hinter „Auszeit“?
In „Auszeit“ stellen wir einfach verschiedene Hobbys vor. Wir haben mal Tauchen vorgestellt und in der jetzigen Ausgabe Free Climbing in der Halle. Aber wir stellen auch Männerarbeit vor, wo Männer sich treffen, auf was für Themen die anspringen, zum Beispiel „Männer und Kochen“, wo wir Rezepte vorstellen. Wir stellen Bücher vor, eine Wanderung. In einer der nächsten Ausgaben berichten wir über E-Bike-Pilgern. Also ganz verschiedene Themen, weil Männer gerade in der Lebensmitte nochmal neue Dinge ausprobieren wollen.
Sie haben auch mehr Zeit, wenn die Kinder aus dem Gröbsten draußen und vielleicht schon ausgezogen sind und die Eltern auch schon verstorben sind. Also man hat Zeit… Seit mehr als zehn Jahren ist die MOVO auf dem Markt. Hast Du das Gefühl, dass sich die Interessen Deiner Leser seit der Gründung verändert haben? Gibt es da einen Shift?
Wir haben angefangen mehr mit der organisierten Männerarbeit, also wir waren vielleicht klischeehafter. Was ist Männlichkeit? Männer brauchen ihren eigenen Raum… Inzwischen würde ich sagen, sind wir weiter geworden. Es geht mehr um das partnerschaftliche Miteinander. Ich spüre, dass da der Raum größer geworden ist.
Also die MOVO hat sich auch ein bisschen emanzipiert von dem klassischen Rollenbild, wo wir gefragt haben: Was ist männlich? Das ist jetzt vielleicht gar nicht mehr so die Frage in der Lebensmitte, sondern eher: Was passt zu mir? Was ist in mir angelegt?
Genau. Das hast Du gut auf den Punkt gemacht. Wir arbeiten uns nicht mehr so an den Frauen ab, sondern es geht eher darum, was mich als Mann ausmacht, was meine Identität ausmacht und wie ich mein Mannsein von Montag bis Sonntag lebe. Und nicht in der Richtung „Jetzt muss ich mein Mannsein durchziehen“, sondern auf einer partnerschaftlichen Ebene. Auch nicht „Jetzt brauche ich meinen Freiraum“, nein, sondern wir wollen das Mannsein in seiner ganzen Bandbreite abdecken. Dass ein Mann auch Klavier spielen kann, und nicht alle Männer auf dem Fußballplatz rennen müssen.
Ja genau, diese Klischees „Mann will Fußball spielen, will immer nur grillen und trinkt Bier“.
Genau, wir stellen jetzt auch Grillrezepte für vegetarisches Grillen vor.
Darüber hat man als Mann früher Witze gemacht. Dass neben dem Steak noch Tofu angegrillt wird… Kommen wir mal zu Deiner Lebensgeschichte. Du bist viele Jahre vor der Wende von Ost- nach Westdeutschland gezogen. Dein Vater war Bürgerrechtler in der DDR und Ihr wurdet als Familie zur Ausreise gezwungen. Mit Deiner persönlichen Geschichte hast Du einen guten Einblick in die Seele von ost- und westdeutschen Männern. Nimmst Du Unterschiede wahr, wie diese beiden Gruppen auf die Lebensmitte blicken?
Ich nehme sehr wohl Unterschiede wahr. Insgesamt würde ich sagen, wäre das ein eigener Podcast wert.
Dann machen wir noch einen zweiten Teil…
Wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, würde ich zwei wirklich gute Buchtipps geben. Das wären das Buch „Freiheitsschock“ und die Biografie von Wolfgang Schäuble. Er hat ja die Einheit für die Bundesrepublik verhandelt und im Grunde seine Biografie auf dem Sterbebett geschrieben. Und dieser Biografie spürt man ab, da muss sich nicht mehr einer selbst darstellen und für den nächsten Karriereschritt fertigmachen, sondern da hat jemand sein Leben abgeschlossen. Und der hat die ganze Wendegeschichte sehr ehrlich und sehr gut auf den Punkt gebracht, wenn man sich für das Thema interessiert.
Ich habe sehr viel Verständnis für Männer aus dem Osten. Der Wandel, die Transformation im Ruhrgebiet, wo ich jetzt wohne, ist innerhalb von 40 Jahren passiert und im Osten ist das innerhalb von 2, 3, 4 Jahren passiert. Später habe ich in Glauchau gewohnt und war dort Pastor. Das war ein Ort, der zu DDR-Zeiten der Hotspot war und für Quelle und Neckermann produziert hat. Diese Textilien konnte man in der DDR nicht kaufen oder es gab sie nur unter dem Ladentisch. Und von einem auf den anderen Tag standen da 3.000 Leute auf der Straße. Und wenn man sich jetzt mal in diese Menschen hineinversetzt, kann man gut nachempfinden, was das bedeutet hat für Familien, für Väter, für Großväter.
Und jetzt sind wir in der nächsten Transformation. Und da sind Ängste, und die Leute sagen „Das ist mir jetzt aber zu viel. Ich bin müde. Ich hätte es jetzt gerne mal wieder etwas ruhiger.“ Und dann kommen Parteien, die sagen „Wir machen das. Wir gehen zurück zu dem, wie es mal war.“ Was im Grunde völliger Unsinn ist, weil das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Aber dass dann solche Botschaften ankommen, das kann ich nachvollziehen.

Ja. Mir scheint, nicht nur mir, sondern vielen, dass der Graben zwischen Ost- und Westdeutschland wieder deutlich tiefer und breiter geworden ist. Das schmerzt. Und wir bräuchten ja auch mehr Einheit, um die großen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam anzupacken, also die lahmende Wirtschaft, die Energiewende, die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes und so weiter. Was, meinst Du, hilft, diesen Graben wieder ein bisschen zu verkleinern oder sogar zuzuschütten?
Ich glaube, es hilft, dass man sich erstmal gegenseitig besucht. Man kann immer wieder lesen, dass die Leute aus der ehemaligen DDR alle schon in der Bundesrepublik waren. Und umgekehrt waren mehr als ein Viertel der Leute aus der Bundesrepublik noch nie in Dresden oder Potsdam oder Leipzig.
Das ist ein Fehler, kann ich sagen, weil ich schon öfters in Dresden war, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist wirklich ein wunderschönes Land. Wir haben schon gestern kurz über Sachsen geredet, mein Arbeitgeber hat dort ein Werk. Also ich kann das nur empfehlen.
Und ich glaube, es ist wichtig, dass man sich besucht und dass man einander zuhört und dass man sich einander auch die Geschichten erzählt. Dass man von diesem Klischee „Der Ossi, der nichts arbeitet oder 40 Jahre nichts gearbeitet hat“ wegkommt. Die Zivilisation ist nicht erst 1990 im Osten angekommen, sondern die war schon vorher da.
In der MOVO probiere ich, auch immer wieder Leute gerade im Osten zu besuchen und deren Geschichten zu erzählen, auch wenn es vom Ruhrgebiet aus weit ist. Aber ich möchte auch das Männerleben dort so abbilden, wie es war.
Ich habe vor zwei Jahren über jemanden berichtet, der Bausoldat war und darüber, was das eigentlich war und was er durchgemacht hat. In der aktuellen Ausgabe habe ich zwei Menschen besucht, wo er als junger Mann in Stasi-Haft war und sie mit drei Kindern allein zu Hause war. Und wo plötzlich die Staatssicherheit im Morgengrauen anrückte und eine Hausdurchsuchung machte und bei der Frau 15 Jahre später eine posttraumatische Störung diagnostiziert worden ist. Die Komplexität der Geschichte zu erzählen, das fällt ja leider oft in den Nachrichten oder in den Radiobeiträgen hinten runter. Aber da hängt ganz viel dran an diesen menschlichen Geschichten in der DDR. Auch barmherzig zu werden mit Menschen, die Stasispitzel waren. Wenn man dahinterguckt, warum die sich da einspannen haben lassen, wie sie unter Druck gesetzt worden sind. Also ich ermutige immer dazu, stärker hinzugucken, tiefer einzusteigen und nicht den medialen Schlagzeilen nachzueifern oder nachzufühlen.
Ich habe vor kurzem mal gehört, dass einer gesagt hat: „Wir aus dem Osten kommen uns vor, als wären wir überrumpelt oder einfach übernommen worden.“ Und was Du auch gesagt hast, dass das Ruhrgebiet eine Industrierevolution oder Umwälzung über 40 Jahre gehabt hat, und in Ostdeutschland waren das wenige Jahre. Wenn man sich das überlegt, ist das schon ein krasser Wandel, mit viel Schmerz.
Ja, genau, es war viel Schmerz. Und es hat was mit den Menschen gemacht. Beim Überrumpeln habe ich immer so ein Fragezeichen. Ja, das war sicher so, aber es war auch so, dass 1990 die Produkte aus der DDR liegen blieben, weil die bunten Sachen aus der Bundesrepublik viel interessanter waren. Und die Menschen haben gerufen „Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr“. Das ist eine Abwärtsspirale gewesen, die auch in Gang gesetzt worden ist, weil die Menschen sonst weggelaufen wären. Also sie haben mit den Füßen abgestimmt.
Und dazu kommt, dass dieses Land, die DDR, ja nicht erst 1990 ausgeblutet ist, sondern es gab schon seit Anfang der 50er-Jahre eine Abstimmung mit den Füßen. Deswegen ist ja auch die Mauer gebaut worden. Und der DDR-Staat hat ideologisch angefangen, die Biografien von Menschen auf den Kopf zu stellen. Menschen, die vorher Professoren oder Doktoren oder Ingenieure waren, deren Kinder bekamen keine Studienplätze mehr, sondern es wurden die Kinder von Landwirten und Industriearbeitern, das kann man gut nachlesen, in die Hochschulen gesteckt. Und die Kinder der Bildungsbürger, zum Beispiel meine Eltern oder mein Vater, die durften nicht studieren. Die sind dann gegangen. Und so hat seit den 50er-Jahren eine Abwanderung von vier Millionen Menschen eingesetzt.
Das ist auch eine Antwort auf die Frage, warum es heute so wenig Führungskräfte aus dem Osten gibt. Das hat auch die Ursache darin, dass wir Leute zu Führungskräften gemacht haben, die das nicht konnten oder gar nicht wollten. Es gibt Berichte, wonach Landwirte oder einfache Industriearbeiter in den Hörsälen saßen und sagten „Wir verstehen keinen Satz und wissen nicht weiter“. Und die, die dafür eine Begabung hatten, die durften nicht weitermachen.
Das ist für mich eine neue Sicht, danke dafür. Nochmal zu Dir ganz persönlich: Was hast Du in der Lebensmitte für Dich gelernt? Was sind Deine Learnings aus dieser Phase?
Meine Learnings sind: Weniger ist mehr. Mach mal Pause. Kümmere Dich um Deine Gesundheit. Und: Du musst nicht mehr der schnellste sein.
Also wir müssen uns nichts mehr beweisen.
Ja, genau. Werde und sei ein Zuhörer. Mach das, was Du jetzt machst, mit ganzer Leidenschaft und mit ganzem Herzen. Und Du bist auch glücklich, wenn Du nie in Südamerika oder in Ostasien warst. Sei mit den Dingen, die Du hast, zufrieden. Und akzeptiere Grenzen. Sage und erlebe „Okay, ich habe nicht mehr die Kraft eines 25-Jährigen, aber das muss ich auch nicht mehr“.
Nö. Richtig. Ich bin voll bei Dir und kann alles unterschreiben, was Du sagst… Kommen wir nochmal zur MOVO. Die MOVO ist ein christliches Magazin. Eine Rubrik heißt ja auch „Glauben“. Ich empfinde die Artikel dort als authentisch, nicht als aufdringlich missionarisch oder nach dem Motto „Hast Du Gott, hast Du keine Probleme mehr“. Das kommt mir sehr entgegen, weil ich auch ab und zu mal Glaubenszweifel habe und sehr allergisch gegenüber allzu einfachen Botschaften bin. Nun findet man Männer in den Kirchen viel weniger als Frauen. Haben Männer eine geringe ausgeprägte spirituelle Ader oder tun sie sich allgemein schwer mit Themen, die man nicht anschauen und anfassen kann, so wie Gott eben?
Dem würde ich entgegnen: Männer kommen in der Kirche nicht vor, weil wenig Männliches in der Kirche da ist.
Na ja, Gott Vater, Jesus, der Heilige Geist… (lacht)
Ja, Kirche ist natürlich sehr männlich, gerade auch in den Leuten, die da gearbeitet haben. Das ändert sich ja jetzt. Aber ich sage mal: Gib einem Mann einen Hammer und gib einem Mann ein Getränk in die Hand und stell ihn an einen Grill. Und sofort kommt er ins Gespräch und fühlt sich willkommen. Das mag jetzt ein bisschen klischeehaft klingen. Ich würde sagen, das trifft trotzdem auf 80 Prozent der Männer zu. Und in den zehn Jahren, die ich jetzt das Magazin mache, erlebe ich, dass Kirchengemeinden immer da auch ein Ort für Männer werden, wo man eine Feuertonne hinstellt und sagt: „Feuertonnenabend! Männer, Ihr seid eingeladen“. Da fühlen sich Männer willkommen. Ich bin selber in einer Kirchengemeinde, in der viele Männer sind. Und die Männer sind in dem Moment gekommen, wie sie gebraucht wurden. Wir haben als Gemeinde eine Turnhalle, in der jeden Sonntag die Gottesdienste stattfinden, weil die Kirche zu klein geworden war. Und jetzt gibt es die Rödelteams und durch diese Rödelteams sind plötzlich Männer da, die dann ihre Kinder mitbringen.
Rödelteams?
Genau. Die bauen die Turnhalle, in der der Gottesdienst gefeiert wird, um und dadurch sind Männer in der Gemeinde.
Also wenn die schon mal umgebaut haben, dann bleiben sie auch da für den Gottesdienst. (lacht)
Ja.
Sehr geschickt, sehr clever… Du bist ja selbst Christ. Abschließende Frage: Warum lohnt es sich für einen Mann, Gott oder Jesus, seine Lebenstür aufzumachen und ihn in sein Leben einzuladen? Was ist Deine Botschaft, die Du anderen Männern da mitgeben willst?
Meine Botschaft ist: Wenn du ein heiler Mann sein willst, ein Mann, der versöhnt ist, der zufrieden und glücklich durchs Leben gehen will, dann ist Gott eine tolle Antwort darauf, um geheilt und versöhnt durchs Leben zu kommen. Und Gott ist jetzt nicht einer, der die Defizite einfach abdeckt, aber der Dich trägt und der Dir sagt: „Hey, so wie Du bist, bist Du gut. Und so wie Du bist, liebe ich Dich.“ Und ich glaube, dass das zu unserem ganzen Mannsein gehört, sein Leben mit Gott zu wagen und zu sagen: „Das ist der Gott, der mein Vater ist und von dem ich mich geliebt wissen darf, unabhängig von dem, was ich auf die Reihe, auf die Kette gekriegt habe oder auch nicht.“
Titelfoto von Joris Voeten auf Unsplash

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Wie eine Zeitschrift Männer bewegt
Rüdiger Jope kennt sich bestens mit den Lebensfragen und Herausforderungen von Männern aus. Als Chefredakteur des christlichen Männermagazins MOVO hat er den Finger am Puls unserer Zielgruppe. Joachim Zdzieblo taucht in dieser Episode mit ihm ein in die Bedürfnisse von Midlife-Männern, die Unterschiede zwischen Ost und West und seine ganz persönlichen Erkenntnisse aus dieser spannenden Lebensphase.
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