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Eltern auf dem letzten Weg begleiten – Buchrezension „Über das Sterben“ von Gian Domenico Borasio

Mit dem Sterben wollen wir Middle-Ager uns in der Regel nicht beschäftigen und wir verdrängen das Thema tunlichst. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns mit Sterben und Tod in der Lebensmitte auseinandersetzen sollten. Warum? Weil unsere Eltern jetzt alt sind, pflegebedürftig werden und sterben. Das ist nun mal der Weg des Lebens. Der Sterbeprozess und Tod meines Vaters waren für mich traumatisch. Erst danach habe ich das Buch „Über das Sterben“ des Palliativmediziners Gian Domenico Borasio gelesen. Hätte ich das mal früher getan, es hätte mich entspannt.

Ich selbst bin seit einigen Jahren Vollwaise. Das heißt, ich habe sowohl meine Eltern, als auch meine Schwiegereltern verloren. Bei zweien – meinem Vater und meiner Schwiegermutter – war ich bei ihrem letzten Atemzug dabei.

Der Sterbeprozess meines Vaters war für mich traumatisch. Und ich wäre gerne auf das, was ich damals erlebt habe, vorbereitet gewesen. Ich meine, wir bereiten uns mit unseren Frauen auf die Geburt unserer Kinder vor, nehmen an einem Geburtsvorbereitungskurs teil, damit wir in den entscheidenden Stunden wissen, was auf uns zukommt und wie wir den Prozess unterstützen können.

Sterbevorbereitungskurs für Eltern

Wäre das nicht auch was für das Lebensende? Stell Dir vor, Du würdest mit Deinen Eltern zu einem Sterbevorbereitungskurs gehen, in dem Du alles erfährst, wie das Lebensende aussehen kann und was man tun kann, damit es für den Betroffenen und für die Angehörigen ein erträgliches, ein gutes Erlebnis wird.

Klingt makaber, oder?

Aber schlecht wäre es nicht. Nur realistisch ist es leider nicht. Die meisten alten Menschen, die ich kenne, verdrängen ihren eigenen Tod, so stark es geht. Mit allen Folgen für sie selber, aber auch für die Angehörigen. Da möchte ich Dir drei Beispiele nennen:

  1. Wenn ich darin einwillige, dass ich nicht ewig lebe und mir nicht mehr viel Zeit bleibt, dann kläre ich meine Beziehungen: sage denen, die ich liebe: Ich liebe Dich! Und ich bitte die um Verzeihung, an denen ich schuldig geworden bin.
  2. Ich setze mich mit den medizinischen Fragen meines Sterbens auseinander – Stichwort: Patientenverfügung! Nur jeder vierte Deutsche hat eine Patientenverfügung. Hast Du eine? Oder Deine Eltern?
  3. Und hier leiden später nicht nur die Sterbenden, sondern vor allem auch die Angehörigen. Die Sterbenden, weil die Ärzte dann ihren Auftrag, Leben zu erhalten, mit aller Kraft verfolgen, ob sie damit das Leiden nur verlängern oder auch nicht. Und die Angehörigen, weil sie nicht wissen, was denn der Wille des Sterbenden für den letzten Weg ist. Und – wenn sie ihn doch kennen –  wie sie ihn durchsetzen können.
  4. Der Haushalt der Eltern. Wenn ich das Ende annehme, dann sorge ich dafür, dass ich auch meine Dinge regele und mich von den Sachen verabschiede, die ich nicht mehr brauche und die meine Angehörigen nicht mehr brauchen. Stichwort: Ausmisten und Sich-Trennen von Sachen. Was haben meine Schwestern und ich geräumt nach dem Tod meines Vaters… wir waren stellenweise echt sauer wegen des vielen Krempels, den unser Vater uns hinterlassen hat.
Wir Middle-Ager und der Tod

Aber nicht nur unsere Eltern verdrängen den Tod. Auch wir Middle-Ager wollen von ihm am besten nichts wissen. Warum ist das so?

Zum einen natürlich, weil unsere Eltern ein Leben lang unsere Eltern bleiben. Wir mögen unser eigenes Geld verdienen, unabhängig sein und mit beiden Beinen im Leben stehen. Aber wenn wir ein gutes, entspanntes Verhältnis zu unseren Eltern haben, hängen wir auch mit Ü50 emotional an ihnen. Sie haben mich aufgezogen, mir Liebe gegeben und sie sind die Brücke zu meiner Vergangenheit, zu meinen Großeltern und vielen anderen in der Familie.

Der andere Grund, warum wir in der Lebensmitte den Tod unserer Eltern gedanklich auf die lange Bank schieben, ist, dass mit ihrem Sterben immer auch das durchblitzt, vor dem wir noch mehr Angst haben als vor ihrem Tod, nämlich unser eigenes Sterben.

Und wenn Du, lieber Mann, alleine lebst, fragst Du Dich vielleicht: Wer wird bei mir sein, wenn meine Kräfte schwinden? Oder wenn Du eine Partnerin hast: Wird sie da sein oder wird sie vor mir gehen? Werden meine Kinder mich begleiten oder werden sie irgendwo in der Weltgeschichte verstreut leben?

All diese Gedanken lassen uns dieses Thema verdrängen.

Der Anfang vom Ende meines Vaters

Ich komme nochmal zurück zu dem, was ich vorher geschrieben hatte: Der Sterbeprozess meines Vaters war für mich traumatisch.

Wie lief das ab? Der ganze Prozess dauerte nur eine Woche – von der Einlieferung in die Klinik bis zu seinem Tod. Er kam mit Atemnot in die Klinik, war die Tage zuvor extrem kurzatmig gewesen. In der Klinik bekam er die Lunge punktiert, um das viele Wasser abzulassen. Und die Ärzte stellten fest, dass er einen – Gott sei Dank! – nicht schmerzhaften Tumor der Bauchspeicheldrüse hatte und auch schon Metastasen in der Lunge und Leber entwickelt hatte. Also es war klar, dass es dem Ende entgegengeht.

Mein Vater war in einem Einzelzimmer untergebracht, und das Pflegepersonal hat für meine Schwestern – ich habe zwei ältere Schwestern – und mich ein zusätzliches Bett in das Zimmer geschoben, damit wir abwechselnd uns ausruhen und schlafen konnten. Gewissermaßen „Rooming-in“, was man von Kinderstationen in Krankenhäusern kennt, wenn die Eltern zur Unterstützung des Kindes im selben Zimmer schlafen wie das kranke Kind.

Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugedrückt. Denn mein Vater war total unruhig, drehte sich öfter von einer Seite zur anderen und stöhnte dabei immer laut auf. Und er pfiff buchstäblich auf dem letzten Loch: Die Atmung rasselte und klang so, als ob ganz wenig Luft in die Lunge rein- und wieder rauskam. Ich fand das nur furchtbar.

Und hier möchte ich zu dem Buch „Über das Sterben“ von Gian Domenico Borasio kommen, das mich viel mehr entspannt hätte, wenn ich es vorher gelesen hätte.

Der Autor

Gian Domenico Borasio ist ein italienischer Arzt und Professor für Palliativmedizin an der Universität Lausanne in der Schweiz. Er ist zudem Chefarzt der Abteilung Palliative Care am Universitätsspital Lausanne. Er hatte zuvor einige Jahre den Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Universität München inne. Der Mann hat also viele Tausend Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet und kennt sich bei dem Thema wirklich aus.

Und ihm ist was Großartiges gelungen – und das ist wesentlich bedeutender als das Buch: Er war maßgeblich daran beteiligt, dass sich heute alle Medizinstudierenden in Deutschland und der Schweiz mit der Begleitung Sterbender auseinandersetzen müssen. Das heißt, wenn wir – unsere Generation – mal auf dem letzten Weg sind, haben wir gute Chancen, dass wir auf Ärzte treffen, die wissen, wie man Sterbende behandelt.

Denn angehende Ärzte lernten bislang ausschließlich, Patienten zu heilen. Und wenn das nicht geht, Patienten so lange wie möglich am Leben zu halten. Das ist aber beim Sterben kontraproduktiv: Das Leiden wird verlängert und das Sterben schlimmer. Dazu später noch mehr.

Sein Buch „Über das Sterben“ hat den Untertitel „Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen“. Es kam 2011 zum ersten Mal heraus, im Verlag C.H. Beck und es liegt momentan in der 11. Auflage vor, was zeigt, dass dies ein Bestseller ist und zum Evergreen geworden ist.

Ich selbst habe das Buch in der Kindle-Version gekauft. Das gedruckte Buch umfasst 208 Seiten, ist nicht zu dick und lässt sich sehr flüssig lesen.

Der Komplett-Media-Verlag bietet eine Hörbuchversion, die er mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Und der Autor hat mir erlaubt, Ausschnitte, die er selbst gelesen hat, in die Episode einzubinden.

Was kosten die verschiedenen Versionen des Buches? Das gedruckte Taschenbuch kostet 13 €, die Kindle-Version 8,49 € und das Hörbuch 19,99 €.

Ziel des Buches

Was will der Autor mit dem Buch erreichen? Er schreibt selbst: „Hauptziel dieses Buches ist es, den Menschen die Angst vor dem Sterben, vor allem die Angst vor einem qualvollen Sterben, ein Stück weit zu nehmen.“

Und das Buch hat mir tatsächlich Ängste und Trauma genommen. Ein Beispiel: Die rasselnde Atmung meines Vaters in den letzten Stunden. Borasio erklärt, dass dieses Symptom durch kleine Mengen Schleim hervorgerufen wird, die sich im Kehlkopf festsetzen, weil die Muskeln in der Sterbephase erschlaffen und kein Hustenstoß mehr möglich ist. Das Rasseln ist also kein Ausdruck von Atemnot oder Leiden.

Und das ist vielleicht das große Paradoxon, das der Autor auch im Buch näher beschreibt: Wenn man sich mit dem Sterben und mit Sterbenden beschäftigt, macht das nicht trauriger oder zieht einen runter: Man lernt, besser, intensiver zu leben. Die Sterbenden lehren uns das Leben!

Schauen wir mal in das eine oder andere Kapitel des Buches rein.

Kapitel 1: Was wir über das Sterben wissen

Das ist relativ wenig, so Borasio. Und er vergleicht das Sterben mit der Geburt, die medizinisch gesehen bis ins Detail erforscht ist.

Sehr gut finde ich, dass er auf die unterschiedlichen Arten des Sterbens eingeht. Denn ein Körper stirbt nie in einem Rutsch komplett, sondern ein lebenswichtiges Organ gibt zuerst den Geist auf und zieht eine Kettenreaktion nach sich.

So beschreibt der Autor die Abläufe der fünf Haupttodesarten. Das sind der Herz-Kreislauf-Tod, der Lungen-, der Leber- und der Nierentod und der Gehirntod.

Über den Gesamttod des Körpers und wann dieser eintritt wissen wir Laien, aber auch das medizinische Personal wenig. Deswegen steht auf den meisten Todesbescheinigungen auch „Herz-Kreislauf-Versagen“ als Todesursache. Ärzte werden von den Sterbeverläufen ihrer Patienten immer wieder überrascht.

Vergleich Geburt & Sterben, Wunsch der Menschen & Wirklichkeit des Sterbens

Borasio vergleicht in seinem Buch das Sterben immer wieder mit der Geburt: „Es gibt erstaunlich viele Parallelen zwischen Geburt- und Sterbevorgang. Es sind die einzigen Ereignisse, die allen Menschen, ja allen Lebewesen gemeinsam sind. Es sind beides physiologische Vorgänge, für welche die Natur Vorkehrungen getroffen hat, damit sie möglichst gut verlaufen. Beide laufen in den meisten Fällen am besten ab, wenn sie durch ärztliche Eingriffe möglichst wenig gestört werden.“

Wie stark wir in der westlichen Welt den Tod verdrängen, beweist Borasio mit der Tatsache, dass in der internationalen Klassifizierung der medizinischen Diagnosen (die nennt sich ICD-10) der natürliche Tod, etwa aus Altersschwäche nicht vorkommt. Die Folge: Ärzte wollen ständig in den Sterbevorgang eingreifen. Haben es nie gelernt, einen natürlichen Sterbeprozess einfach nur zu begleiten. Ich zitiere aus dem Buch: „Die allermeisten Sterbevorgänge (die Schätzungen gehen bis zu 90 Prozent) könnten mit Begleitung von geschulten Hausärzten und gegebenenfalls Hospizhelfern problemlos zu Hause stattfinden.“ Ärzte, so Borasio weiter, sehen oft den Tod als Feind und sein Eintreten als persönliches Versagen.

Gian Domenico Borasio geht in seinem Buch auch darauf ein, was sich die Menschen zum Lebensende wünschen und was dann aber in Wirklichkeit passiert. Zum Beispiel wünschen sich die meisten einen plötzlichen, unerwarteten Tod: ca. drei Viertel wollen das, ereignet sich aber bei weniger als fünf Prozent Sie wollen nicht den mittelschnellen Tod durch schwere Erkrankung wie Krebs über 2-3 Jahre oder schon gar nicht einen langsamen Tod durch eine Demenzerkrankung.

Neun von zehn Menschen wollen zu Hause sterben, dies gelingt aber nur rund einem Viertel. Die meisten sterben in Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Der Autor führt den Leser mit geschickten Fragen zur Erkenntnis, was es zum guten Sterben braucht und landet bei Kindern, den eigenen Kindern. Aber nicht irgendwelchen Kindern. Uns Männer, sprich Söhne, meint er leider nicht. Denn die Wahrscheinlichkeit, von der Tochter gepflegt zu werden, ist deutlich größer, als vom Sohn gepflegt zu werden. Es ist sogar wahrscheinlicher, von der Schwiegertochter als vom Sohn gepflegt zu werden.

Das ist bitter für uns Männer, aber bei der jahrelangen Erfahrung von Herrn Borasio können wir, fürchte ich, nicht das Gegenteil beweisen. Ich muss auch sagen, dass das bei mir auch so war: Meine mittlere Schwester hat sich um die Pflege meines Vaters gekümmert und ich um Finanzen, Krankenversicherung und alles Administrative. Und bei meiner Frau und ihrem Bruder war es das Gleiche.

Foto von Anne Nygård auf Unsplash
Kapitel 3: die Strukturen der professionellen und ehrenamtlichen Sterbebegleitung in Deutschland

Die Strukturen der Sterbebegleitung sollte man schon mal grob gehört haben, weil man als Angehöriger mit diesen Strukturen in irgendeiner Form zu tun bekommen wird. Da gibt es zum Beispiel die niedergelassenen Ärzte als wichtigste Säule, vor allem die Haus- und Allgemeinärzte.

Dann gibt es die SAPV-Teams („Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung“). Sie sind relativ neu im Gesundheitswesens und bestehen aus Ärzten, Krankenschwestern und Sozialarbeitern. Ihre Aufgabe ist es, die Hausärzte bei der Versorgung von Sterbenden zu unterstützen.

Borasio geht auf Palliativstationen und Palliativmedizinische Konsiliardienste ein. Letztere sind Beratungsdienste in Krankenhäusern, die meist selbst keine Palliativstation haben und die Stationen bei der Behandlung von unheilbar Kranken beraten. Und er beschreibt stationäre Hospize & ambulante Hospizdienste.

Kapitel 4: Was brauchen Menschen am Lebensende

Ganz oben auf der Liste steht für ihn die Kommunikation, nicht nur zwischen Arzt und Patient, sondern auch zwischen Patient und Angehörigen. Und er betont immer wieder, wie wichtig multiprofessionelle Teams für eine gute Begleitung von Sterbenden sind. Also Teams, die nicht nur aus Ärzten und Pflegern bestehen, sondern auch aus Sozialarbeitern, Psychologen und Seelsorgern.

Mit Kommunikation meint er nicht nur, was gesprochen wird, sondern auch die nonverbale Kommunikation – vor allem mit Patienten, die wenig oder kein Bewusstsein mehr haben, weil sie dement sind oder im Koma liegen. Diese haben immer noch die Fähigkeit, Emotionen und nonverbale Signale wahrzunehmen!

Also, lieber Mann: Besuche Deinen Vater, Deine Mutter, auch wenn er oder sie im Koma liegt oder dement ist und kein Gespräch mehr möglich ist. Sie spüren Deine Nähe, wenn Du ihnen die Hand hältst und sie spüren Deine Liebe.

Das Zweite, was Menschen am Lebensende brauchen, ist eine gute medizinische Therapie. Dabei geht es nicht nur um die Behandlung von Schmerzen – diese machen nur ein Drittel der körperlichen Symptome aus. Die restlichen zwei Drittel verteilen sich auf internistische Probleme wie Atemnot und Übelkeit, und neuropsychiatrische Symptome wie Verwirrtheit oder Depression.

Borasio geht sehr detailliert auf die Schmerztherapie ein und auf die Behandlung von Atemnot. Vor starken Schmerzen und Ersticken fürchten sich die meisten Menschen, wenn sie ans Sterben denken. Die gute Nachricht: Beide Symptome lassen sich sehr gut medikamentös behandeln!

Das dritte ist eine gute psychosoziale Betreuung durch Sozialarbeiter und Psychotherapeuten und das vierte spirituelle Begleitung, zum Beispiel durch Seelsorger.

Kapitel 7: Die häufigsten Probleme am Lebensende (und wie man sich davor schützt)

Hier geht der Autor auf häufige Kommunikationsprobleme ein, zum Beispiel innerhalb der Familie, wenn sich der Schwerkranke und die Angehörigen gegenseitig schonen wollen oder die Angehörigen das Thema Sterben todschweigen.

Kapitel 8: Vorsorge für das Lebensende

In diesem Kapitel klärt Borasio über die Vorsorge für das Lebensende auf, also über Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Er geht detailliert auf die unterschiedlichen Dokumente ein und gibt wertvolle Tipps, wie man sich selbst an dieses Thema herantasten kann. Toll finde ich, dass er die unterschiedliche Sichtweise seiner eigenen Eltern offen nennt und was das für ihn als Sohn und Bevollmächtigten bedeutet.

Kapitel 9: Sterbehilfe

Wer es juristisch genau wissen will, der kämpft sich durch das Kapitel 9, in dem der Autor erklärt, was die Unterschiede sind zwischen „aktiver und passiver Sterbehilfe“, „indirekter Sterbehilfe“ oder dem „ärztlich assistierten Selbstmord“ sind. Hier räumt er auch mit dem Gerücht auf, dass Medikamente, die das Leiden lindern, das Leben des Kranken verkürzen.

Alles in allem räumt das Buch „Über das Sterben“ mit vielen Mythen auf, gibt detaillierte Einblicke in das Thema und praktische Tipps.

Vor allem aber macht das Buch Hoffnung und beruhigt: „Die Hoffnung auf ein ewiges Leben ist, zumindest hier auf Erden, nicht realisierbar. Aber die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Lebensende unter guter Betreuung, wird für immer mehr Menschen Realität.“

Das Ende meines Vaters

Vielleicht fragst Du Dich, wie es mit meinem Vater weiterging.

Er wollte immer zuhause sterben, wie die meisten von uns. Und wir Kinder haben tatsächlich einen Krankentransport für ihn organisiert, der ihn von der Klinik in seine Wohnung brachte.Die Klinik hatte uns noch mit Morphinspritzen ausgestattet und wir haben die Sauerstoffversorgung für Zuhause geregelt.

Meine mittlere Schwester fuhr mit ihm im Krankenwagen mit, während ich und meine älteste Schwester zuhause auf beide warteten. Im Krankenwagen sackte die Herzfrequenz meines Vaters immer wieder bedrohlich ab, und die Sanitäter sagten, dass sie ihn reanimieren müssten, weil seine Patientenverfügung, die veraltet war, nicht ausreichte.Aber glücklicherweise kam es dazu nicht. Er hat es nach Hause geschafft. Die Sanitäter legten ihn in sein Pflegebett, das er schon seit Monaten hatte.

Und als wir alleine mit ihm waren und alles ruhig war, sagte er „Bier“. Er wollte tatsächlich noch einen Schluck Bier. Und das ist vielleicht das Merkwürdigste an einem Sterbeprozess: Mir kam es so vor, dass mein Vater schon die meiste Zeit in der anderen Welt war. Er war nur selten ansprechbar. Aber er tauchte immer wieder für kurze Zeit ins Leben hier und jetzt zurück und sagte dann Dinge, die er gerne hätte, wie eben Bier.

Wir haben vom Krankenhaus kleine Minischwämme am Stil mitbekommen. Sie sind nicht größer als ein kleiner Eiswürfel und dienen dazu, den Mund zu befeuchten. Denn Flüssigkeit braucht ein Sterbender nicht mehr. Ich habe dieses Schwämmchen in Bier getränkt und meinem Vater in den Mund geschoben. Er drückte es aus und machte ein wohliges Raunen. Es hat ihm also geschmeckt.

Wir drei Kinder standen alle um sein Bett. Wir riefen ihm noch zu: Wir lieben Dich! Und, dass er unsere verstorbene Mutter grüßen soll. Und dann wurde es ruhig. Der Brustkorb meines Vaters hebte und senkte sich irgendwann nicht mehr. Seine Atmung hatte aufgehört. Man hörte noch ein leises Klacken seines Kehlkopfes. Und wenig später sahen wir keinen Puls mehr an der Halsschlagader und am Handgelenk. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Friedlich, ohne Kampf, im Beisein seiner Kinder.

Nachdem ich das Buch von Gian Domenico Borasio gelesen hatte, habe ich verstanden: Das war ein super Sterbeprozess.

Begleite Deine Eltern auf dem letzten Weg

Ich kann Dich, lieber Mann, nur dazu ermutigen, Deine Eltern auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Wenn Du Vater bist und bei der Geburt Deiner Kinder dabei warst, wirst Du auch das schaffen.

Und hier kommen wir wieder zur Parallele zwischen Geburt und Tod. Ich habe beide Ereignisse immer als „heilige“ Ereignisse gesehen. Beide Prozesse sind ergreifend und beide sind historisch, weil sie die bedeutendsten Ereignisse im Leben eines Menschen sind. Lass Dir das nicht entgehen und hab keine Angst.

Natürlich gibt es auch Sterbende – und das sind nicht wenige –, die alleine sterben wollen, weil sie in Anwesenheit der Angehörigen nicht loslassen können. Meine Cousine, die Anästhesistin war, hat mir verraten, dass in solchen Fällen das Team dann die Angehörigen in die Cafeteria des Krankenhauses geschickt hat, unter dem Vorwand, das Bett richten zu wollen. Und oft ist dann der Schwerkranke in dieser halben Stunde gestorben.

Bei meiner Schwiegermutter war das auch so. Meine Frau und ich haben uns abgewechselt in der Wache am Bett im Pflegeheim. Als meine Frau das Zimmer verlassen hatte, um nach Hause zu fahren, dauerte es keine zwei Minuten und die Atmung meiner Schwiegermutter wurde langsamer und ruhiger. Eine halbe Stunde später war sie friedlich gegangen.

Wo stehst Du mit Deinen Eltern gerade?

Ich weiß nicht, wo Du mit Deinen Eltern stehst. Vielleicht sind sie noch fit und agil. Dann herzlichen Glückwunsch!

Oder sie sind schon pflegebedürftig und Du fragst Dich: Wie wird es werden? Vielleicht ist Dein Vater oder Deine Mutter aber schon auf der Zielgeraden, im Sterbeprozess. Dann wünsche Dir Kraft, Zuversicht, Mut und Liebe.

Ihr schafft das!

Titelfoto von Hunt Han auf Unsplash

Porträt Joachim Zdzieblo
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Eltern auf dem letzten Weg begleiten

Mit dem Sterben wollen wir Middle-Ager uns nicht beschäftigen und wir verdrängen das Thema tunlichst. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns mit Sterben und Tod in der Lebensmitte auseinandersetzen sollten. Warum? Weil unsere Eltern jetzt alt sind, pflegebedürftig werden und sterben. Das ist nun mal der Weg des Lebens. Der Sterbeprozess und Tod meines Vaters waren für mich traumatisch. Erst danach habe ich das Buch „Über das Sterben“ des Palliativmediziners Gian Domenico Borasio gelesen. Hätte ich das mal früher getan, es hätte mich entspannt.

In der Episode rezensiere ich das Buch und gebe persönliche Einblicke in das Sterben meines Vaters.

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