Ein Seitensprung erschüttert eine Beziehung bis auf die Grundmauern. Carina Jatzwauk hat sich darauf spezialisiert, das Vertrauen zwischen Partnern nach dem Fremdgehen wiederherzustellen und Paaren zu einer glücklichen Beziehung zu verhelfen. Im Gespräch mit Joachim Zdzieblo offenbart die Beziehungscoachin, welchen Einfluss ihre eigene Biografie auf ihren Beruf hatte, warum auch der betrogene Partner nicht schuldlos ist und was No-Gos in der Paartherapie sind.
Carina, Du bist eigentlich Führungskräfte-Coachin. Da ist es nicht das Nächstliegende, Paare bei Beziehungsproblemen zu beraten. Wie bist Du zu diesem neuen Betätigungsfeld gekommen?
Ja, das ist tatsächlich so. Ich komme aus verschiedenen Führungsjobs und habe mich da auf Führungscoaching spezialisiert. Ich bin mit all meinen Kunden und Kundinnen aber dann ausschließlich bei der Partnerschaft gelandet und das hat so an meine Tür geklopft, dass ich mir dann überlegt habe, wieso das eigentlich so ist. Ich habe auch gemerkt, dass ich da eine gewisse Expertise mitbringe, zum einen aus eigener Erfahrung und zum anderen auch aus der Geschichte meiner Großeltern und Eltern. Und so hat sich das dann tatsächlich zum Beziehungscoaching entwickelt.
Da muss ich noch mal nachhaken. Das heißt, Du hast Führungskräfte in beruflichen Fragen gecoacht und bist aber im Rahmen dieser Coaching-Sessions auf Themen der Partnerschaft von Deinen Coachees zu sprechen gekommen. War das so?
Ja, das war so. Also es wirkt sich immer die Partnerschaft auch auf den Beruf aus, und umgekehrt beeinflusst der Beruf auch Deine Partnerschaft. Und so war es tatsächlich so, dass ich hier immer wieder bei dem Thema Partnerschaft gelandet bin. Hier waren und sind nach wie vor verschiedene Glaubenssätze im Raum, zum Beispiel: Wenn ich erfolgreich im Beruf bin, habe ich vielleicht eine nicht so tolle Partnerschaft. Und umgekehrt: Wenn ich mich mehr um Partnerschaft und Familie kümmere, dann bin ich vielleicht nicht so erfolgreich im Beruf. Gerade bei Männern ein großes Thema.
Das glaube ich, und das können wir vielleicht nachher noch vertiefen. Aber Du hast schon angedeutet: Du hast ja auch eine eigene Geschichte mit dem Thema. Was steckt da dahinter, dass Dir genau dieses Thema so unter den Nägeln brennt und Du da reingegangen bist?
Ganz genau, ich habe da meine eigene Geschichte. Zum einen aus eigener Erfahrung: Mein damaliger Mann hat mich mehrmals betrogen. Und so bin ich durch meine eigene Leidensgeschichte gegangen. Und die unterscheidet sich nicht so sehr von anderen. Auch wenn man denkt: Du alleine bist betroffen. Nein, tatsächlich sind 40 Prozent aller Partnerschaften von einem Seitensprung betroffen.
Das ist eine Menge. Wie bist Du denn damals mit den Seitensprüngen Deines Mannes umgegangen? Wie sahen die ersten Wochen aus, nachdem Du davon erfahren hast?
Absolutes Gefühlschaos, absolutes Gefühlschaos. Und natürlich habe ich mir Fragen gestellt wie: Was hat die andere, was ich nicht habe? Solche Fragen habe ich mir täglich und andauernd gestellt. Und wie bin ich damit umgegangen? Natürlich mit Vorwürfen, an meinen Partner und an mich selbst. Und dann kam die Zeit der Verleumdung, also ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Da waren ganz verschiedene Stufen erkennbar, und zwar im Nachgang, nicht als ich damals in der Situation war.
Wie ein klassischer Trauerprozess mit fünf Phasen. Hast Du damals Hilfe von einem Profi bekommen oder zumindest von einer Freundin oder der Familie?
Ja, meistens ist es ja so, dass man sich Tipps von einer Freundin, von einem Freund holt oder auch von der Familie. Natürlich waren meine Freunde und meine Familie loyal und haben nach dem typischen Opfer-Täter-Prinzip Partei ergriffen. Hat es mir weitergeholfen? Nein. Hat das meine Leidenszeit verkürzt? Auf keinen Fall!
Mit dem Wissen von heute würde ich mir tatsächlich eine Unterstützung holen, einfach um diese Leidenszeit, die vergeudete Lebenszeit ist, zu verkürzen.
Wie lange hat denn diese Leidenszeit für Dich gedauert? Muss man da mit Wochen, Monaten oder gar Jahren rechnen?
Ich denke, das ist ganz unterschiedlich. Jeder geht auf seine Weise damit um. Es hat auch etwas damit zu tun – zumindest kann ich das aus meinen Coachings erkennen –, ob man nachtragend ist. Der eine ist nachtragender, dann wird diese Zeit auch länger dauern. Und der andere kann früher verzeihen und sich dem Ganzen öffnen. Dann dauert es auch nicht so lang.
Aber Du hast es eben angesprochen: So wie bei einer Trauer muss man durch verschiedene Stufen durch, das ist ganz klar erkennbar. Und das kann bei dem einen länger dauern, bei dem anderen kürzer. Bei einer Trauerzeit geht man im Durchschnitt von zwölf Monaten aus.
Ich wäre froh um jeden einzelnen Tag, um den man die Zeit verkürzen kann. Denn das ist, wie ich schon gesagt habe, vergeudete Lebenszeit, in der ich nicht glücklich bin und mich auch nicht wirklich auf Lebensfreude konzentrieren kann.
Wie lange hat es dann unterm Strich bei Dir gedauert, dass Du gesagt hast: Ich bin drüber hinweg?
Irgendwo zwischen zehn bis zwölf Monate. Und dass ich drüber hinweg war ich, hat viele Jahre gedauert, weil ich mir keine Unterstützung gesucht habe. Ich habe immer wieder hinterfragt: Wo ist mein Partner jetzt? Hat er wieder jemanden? Dieses ständige Hinterfragen war sehr lange der Fall und nicht wirklich weg. Und das ist sehr schwierig, weil das viel mit Vertrauen zu tun hat. Und wenn das Vertrauen, das eine Grundbasis einer Partnerschaft ist, nicht da ist, wird es wirklich schwierig für beide Seiten.
Ein Seitensprung ist ja für alle Menschen ein extremer Vertrauensverlust und Verrat. Aber die Auswirkungen sind vielschichtiger. Kannst Du die Auswirkungen für den Betrogenen/die Betrogene beschreiben?
Ja, die Auswirkungen habe ich ja schon angesprochen. Das sind Vertrauensverlust und Selbstvorwürfe. Ein bisschen auch das Verstecken im Sinne von „Ich darf mich nicht mehr zeigen, ich darf nicht mehr ich selbst sein“. Du hinterfragst Dich ständig selber. Vielleicht fängst du auch an – der Klassiker –, im Handy Deines Partners zu stöbern und zu denken: Dann kann ich wieder vertrauen. Weit gefehlt! Da wird’s eigentlich noch schlimmer, für beide Seiten. Das wären die tiefgründigen Punkte.
Und ein Seitensprung hat natürlich auch Auswirkungen auf den, der fremdgeht. Welche sind das oder können es sein?
Wenn ich von dem klassischen Bild, das heute nicht mehr zutrifft, spreche, dass der Mann fremdgegangen ist und die Frau die Betrogene ist… Was will ein Mann? Er will eine glückliche Frau. Und was will eine Frau? Sicherheit. Das lässt sich knallhart herunterbrechen.
Das ist es?
Das ist es. Das ist meine jahrelange Erfahrung. Das ist der Kern. Der Mann will heimkommen und will, dass die Frau glücklich ist. Wir Frauen sagen ja gern, der Mann steht dann eher auf Sex. Nein, es ist die glückliche Frau. Und wenn er heimkommt, und die Frau kann ihm nicht verzeihen und das geht über Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre, dann geht auch viel Lebensfreude bei dem verloren, der betrogen hat. Er wird immer wieder versuchen, eine glückliche Frau zu haben und das Vertrauen aufzubauen. Es wird bestimmt auch viel Streit geben. Er fühlt sich natürlich dann auch unglücklich, und es wird einfach sehr kompliziert.
Jetzt ist man ja schnell verleitet zu sagen: Der, der fremdgeht, ist schuld daran, dass die Beziehung scheitert oder dass sie schlecht läuft. Aber Du sagst: Auch der Betrogene/die Betrogene trägt eine Schuld. Inwiefern?
Es wäre wirklich zu einfach – und so ist es ja oft –, vom Täter zu sprechen, der betrogen hat, und vom Opfer zu sprechen, das betrogen wurde. Das ist viel zu einfach gesprochen, denn es führen ganz viele Themen in der Partnerschaft dazu, dass so etwas passiert.
Und wir sprechen ja von einem Seitensprung, der – zumindest aus meinen Erfahrungen – nicht nur einmal passiert, sondern des Öfteren sich wiederholt. Das ist dann auch sehr oft eine Flucht zu diesem Glück, zu dieser Leichtigkeit, zu den Schmetterlingen im Bauch. Es wäre viel zu einfach, um zu Deiner Frage zurückzukommen, zu sagen: Daran ist einer schuld und der andere kann gar nichts dafür. So funktioniert eine Partnerschaft nicht. Auch ich habe irgendwann begonnen, mich zu hinterfragen. Und natürlich gab es schon auf dem Weg zum Seitensprung meines Partners viele Punkte, viele Steps, an denen erkennbar war, dass das auf so etwas hinausläuft. Also ich war, auch wenn ich gerne was Anderes sagen würde, nicht schuldlos.
Kannst Du einen Punkt aus diesem Set verraten, von dem Du sagst: Das ist ein Beispiel dafür, wo es schon in die Richtung gewiesen hat, wo ich vielleicht auch nicht glücklich agiert habe?
Du meinst einen dieser Schritte, an denen erkennbar war, dass es darauf hinauslaufen kann?
Genau.
Ein Beispiel: Wir hatten damals kleine Kinder, und mein Partner wollte weiterhin immer wieder mal weggehen und mit mir einen schönen Abend haben. Dadurch, dass ich immer voll berufstätig war, habe ich das sehr oft blockiert und habe uns diesen Raum nicht gegeben. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ja, Familie ist wichtig. Auch die Zeit für mich war wichtig, aber gemeinsame Zeit, die hätte ich einplanen müssen.
Carina, Du kennst die Perspektive der betrogenen Frau sehr gut, einmal aufgrund Deiner eigenen Geschichte, aber auch aufgrund der Geschichten Deiner Klientinnen. Gibt es denn geschlechtsspezifische Unterschiede? Sprich: Gehen Männer aus anderen Gründen fremd als Frauen?
Das ist eine sehr gute Frage… Eigentlich nicht. Es ist tatsächlich bei beiden die Suche nach der Selbstbestätigung und auch ein wenig das Spiel mit dem Testen des Marktwertes.
Ob man noch gut ankommt?
Genau! Und es ist auch dieser Kick – da reden wir es doch mal nicht schön – einfach wieder etwas anderes Sexuelles zu haben, vielleicht sogar, etwas auszuprobieren. Und, das höre ich sehr oft, dieses Ausprobieren, das zuhause nicht kommuniziert wird, weil es schon so eingefahren ist.
Oder weil man sich nicht traut.
Genau.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass heute Partnerschaften und Ehen nebenbei laufen müssen. Die müssen einfach funktionieren, und der Fokus liegt auf der Arbeit, auf Freizeitaktivitäten oder irgendetwas anderem. Hast du auch diesen Eindruck?
Ja. Das kann ich auf jeden Fall beantworten: Es ist so. Will ich in meinem Beruf Erfolg haben, dann muss ich Energie reinstecken. Ohne diese Energie werde ich keinen Erfolg haben. Das ist jedem Mann und auch jeder Frau bewusst.
So, wie ist es nun mit der Partnerschaft? Zu oft sehen wir in Hollywoodfilmen: … und sie lebten glücklich bis ans Lebensende. Aber wenn ich erfolgreich sein will in meiner Partnerschaft, dann darf ich auch hier einen gewissen Fokus darauflegen und eine gewisse Energie hineinstecken. Und dann wird’s auch mit der Partnerschaft funktionieren.
Es gab mal ein sehr interessantes Buch von Günter F. Gross. Der Titel hieß „Beruflich Profi, privat Amateur?“ Der Autor hat beschrieben, wie einfach es eigentlich ist, mit der gleichen Stringenz und Disziplin auch die privaten Beziehungen zu pflegen. Und man braucht da wahrscheinlich gar nicht so viel Aufwand, den man an einem Acht-Stunden-Arbeitstag hat. Das fand ich sehr interessant.
Dem kann ich nur zustimmen, das ist auch meine Philosophie. Es braucht tatsächlich gar nicht so viel Energie, wie es sie meistens beruflich braucht. Aber es braucht natürlich Offenheit, Ehrlichkeit – auch und vor allem mir selber gegenüber: Was sind meine Bedürfnisse?
Frauen können ihre Bedürfnisse auch schlecht formulieren. Männer würden jetzt wahrscheinlich sagen: Meine Frau kann ihre Bedürfnisse ganz klar ausdrücken oder sagt mir des Öfteren, was sie will. Ja, aber dann ist es oft so, dass sich die Frau nicht entscheiden kann, was sie denn eigentlich will. Und das ist für den Mann sehr schwierig, weil der Mann dann schwimmt. In beruflichen Dingen klar fokussiert – das ist das, was wir den Männern nachsagen. Und jetzt kommt der Mann heim und kriegt keine klare Anweisung und keine Bedienungsanleitung. Und wenn die Frau sich dann nicht entscheiden kann, was sie will, und morgen was ganz Anderes priorisiert, dann wird’s schwierig.
Ich glaube, der klassische Fehler passiert ja auch, wenn Frauen zum Beispiel über Probleme im Job oder in der Kindererziehung sprechen. Männer sind sehr lösungsorientiert und versuchen gleich, eine Lösung vorzuschlagen. Das wollen aber viele Frauen gar nicht. Sie wollen einfach mal gehört werden. Das habe ich mal irgendwo gelesen, und das war mir – ehrlich gesagt – auch nicht bewusst. Denn wir Männer sind einfach so gepolt: Problem? Lösung! Problem? Lösung!
Das ist sehr oft ein Thema in meinem Coaching, und es ist ja auch tatsächlich so. In meiner Partnerschaft und auch in meinem Coaching gebe ich immer den Tipp: Wenn ich als Frau keine Lösung will, dann sage ich das meinem Partner. Ich sage meinem Partner: „Heute möchte ich mich, auf Bayrisch gesagt, einfach mal auskotzen. Und ich will von Dir keine Lösung. Ich will einfach nur Deine Schulter.“ Und mein Mann lächelt dann und sagt: „Okay, dann schieß mal los!“
Und ein anderes Mal möchte ich eine Lösung, und dafür sind Männer konzipiert. Lösungen bekommen wir Frauen auch. (lacht)
(Lacht) Ja, man muss sie aber dann auch wollen… Ich habe mal ein Interview mit einer Paartherapeutin gelesen, die gesagt hat: Im Schnitt kommen die Paare sieben Jahre zu spät zu ihr. Erlebst Du das auch bei Deinen Klienten, dass viele zu spät kommen, und die Beziehung dann nicht mehr zu retten ist?
Natürlich würde ich mir wünschen, dass alle Paare zu mir kommen, bevor ein Seitensprung passiert. Das wäre mein Wunsch. Einige tun das, aber die meisten kommen natürlich, nachdem ein Seitensprung vorgekommen ist. Aber ob die Paare sieben Jahre zu spät kommen, würde ich nicht sagen.
Wann kommen die Paare zu mir? Ganz klar, wenn sie wieder an ihrer Beziehung arbeiten wollen. Das kommunizieren beide: Der, der betrogen hat und der, der betrogen wurde. Das ist der Ausgangspunkt. Und dann ist es ja nicht zu spät, sondern dann ist es ein guter Neustart. Und so sehe ich das auch.
Wie stehen denn die Chancen, dass die Paarbeziehung nach einem Seitensprung zu heilen ist? Oder wie sind Deine Erfahrungswerte aus Deiner Praxis?
Ich habe es ja gerade schon angesprochen: Die Paare kommen dann, wenn beide Partner wieder wollen. Es sind 80 Prozent, die danach wieder eine Partnerschaft oder eine bessere Partnerschaft führen. Denn das ist das Ziel. Sonst würde es ja unweigerlich wieder in einem Seitensprung enden.
Das ist ja eine Riesenerfolgsquote! Unglaublich. Wovon hängen denn diese 80 Prozent ab? Oder anders formuliert: Was passiert bei den restlichen 20 Prozent, dass es doch nicht mehr gelingt.
Da würde ich an das anknüpfen, was Du vorher gesagt hast: Die kommen schlichtweg zu spät.
Was ist ein No-Go? Zum Beispiel, wenn schon Schimpfwörter unter der Gürtellinie gefallen sind. Das ist zum Beispiel etwas, was ich immer wieder bei diesen 20 Prozent bemerke.
Auch vor Dir als Coach?
Das sind Ausnahmen. Aber das höre ich dann in Einzelgesprächen, die ich führe, wenn ich merke, dass sich die Paare erst mal noch nicht untereinander öffnen.
Worauf ich sehr achte, ist wirklich, keine Partei zu beziehen. Jetzt wird vielleicht der eine oder andere Mann denken: Na ja klar, sie ist eine Frau. Da kann ich mir doch vorstellen, dass sie Partei für die Frau bezieht.
Das wäre meine nächste Frage gewesen.
Aber ein Kunde hat mir mal gesagt, ich sei ein Männerversteher und ein guter Übersetzer.
Wenn das ein Mann zu einem weiblichen Coach sagt, dann ist das eine Auszeichnung.
Ich denke, das kommt daher, dass ich aus der Führungsebene komme und ganz klar sprechen kann. Und diese Klarheit kann ich auch gerade in das Beziehungscoaching einbringen. Ich spreche in der Klarheit die Sprache des Mannes und kann das übersetzen in die Gefühlswelt der Frau. Und hier bin ich wirklich sehr, sehr vorsichtig, weil auch für mich gilt: Es gibt nicht das Opfer und es gibt nicht den Täter. Am Ende des Tages will ich eine glückliche Partnerschaft auf Augenhöhe führen. Ich kann hier nicht urteilen und würde es auch nicht wollen.
Kommen die Frauen, die betrogen wurden in der Regel erst mal alleine zu Dir, um sich beraten zu lassen, was sie denn jetzt machen sollen oder bringen sie den Partner gleich im Schlepptau mit? Wie ist so der Erstkontakt mit dir?
Es war zuerst tatsächlich so, dass der Erstkontakt über das Führungscoaching durch die Männer stattfand, weil viele Männer zu mir gekommen sind und die Partnerinnen dann dazugekommen sind. So ist das Ganze mal entstanden.
Das hat sich aber vor ein paar Jahren gewendet. Zuerst kommen die Frauen zu mir und die Partner kommen dann später dazu. Dass beide gleichzeitig kommen, ist eher selten. Ich bin ja nicht die klassische Paarberatung, die es bei verschiedenen Institutionen gibt.
Mir ist sehr daran gelegen, dass die Paare wieder eine Basis finden, die sie mal hatten, und dann darauf ein tiefes Fundament aufbauen. Und so kommen irgendwann wirklich beide zu mir.
Welche Herangehensweise nutzt Du in der Beratung, um Paaren zu helfen, wieder diese Vertrauensbasis herzustellen und die Beziehung zu heilen?
Da gibt es ganz viele Möglichkeiten. Eine wäre sich anzuschauen, was die Sprache der Liebe ist. Jeder hat seine besondere Sprache der Liebe. Der eine will die Anerkennung und dann hilft es ja nichts, wenn der andere – ich will jetzt nicht sagen, der Gegenpol ist –, aber wenn er die Sprache des Schenkens spricht. Dann werden beide sich nicht verstehen. Und das versuche ich auch immer herauszufinden.
Und dann geht es ganz viel um Gefühle, um Emotionen. Gerade nach einem Seitensprung gilt es zu erkennen, dass ich mir meine eigenen Gefühle, Gedanken und Emotionen kreieren kann, um eben aus diesem Strudel der schlechten Gedanken, der schlechten Emotionen und des nicht übereinstimmenden Handelns herauszukommen. Also ich habe da ganz verschiedene Methoden, mit denen ich ansetze.
Was ist Deine Erfahrung: Wie lang braucht ein Paar durchschnittlich in der Beratung, um wieder Vertrauen zu fassen? Ich stelle mir das unglaublich langwierig vor, gerade für den, der betrogen wurde, dass er, wie Du es beschrieben hast, in diesem Strudel ist und immer wieder dort hineinfällt, auch wenn er oder sie es anders haben möchte.
Das dauert tatsächlich gar nicht so lange, wie man denkt. Mein Programm, ich nenne es Erste-Hilfe-Programm, liegt irgendwo zwischen acht und zehn Wochen. Und dann gibt es natürlich noch das Programm zum Aufsetzen. Das macht auch absolut Sinn, um die Partnerschaft auf Augenhöhe führen zu können und bedingungslos, also ohne Bedingung an den anderen, wieder in diese Liebe einzutauchen, die wir uns alle wünschen.
Ja, die Liebe gerade zu Beginn einer Liebesbeziehung ist ja auch bedingungslos.
Genau!
So hat es ja mal in aller Regel gestartet, es sei denn, man wurde von den eigenen Eltern verkuppelt, was ja in der heutigen Zeit und in unserer Region, Gott sei Dank, nicht der Fall ist. Gibt es denn bestimmte Muster oder Dynamiken, die Du häufig bei Paaren nach einem Seitensprung beobachtest? Und wenn ja, wie gehst Du damit um?
Da verstehe ich jetzt Deine Frage nicht ganz. Kannst Du mir das genauer erklären?
Eine Paardynamik im Gespräch… Du hast beide vor Dir sitzen und das Gespräch gleitet in eine bestimmte Richtung ab, in eine Dynamik, die Du öfters siehst und bei der Du dann entscheidest: Da interveniere ich jetzt.
Wo ich gleich interveniere, und das sind auch Grundpfeiler, die ich aufsetze: Es gibt keinen Raum für Vorwürfe. Denn ich weiß sehr wohl: Diese Paare kommen aus den Vorwürfen. Also sie brauchen ja kein Coaching, wie man sich besonders gut Vorwürfe macht. Und deswegen ist das ein Grundpfeiler in meinem Coaching: keine gegenseitigen Vorwürfe.
Und dann ist es oft sehr schwierig, weil wir ganz viel über Gefühle reden. Das ist erstmal schwierig für den Mann. Wenn der Mann aber versteht und akzeptiert, sich zu öffnen, und er weiß, da ist er auf dem richtigen Weg und ich gebe auch Hilfsmittel dafür, dann merkt man immer wieder: Auf einmal tut sich die Frau schwer, die Emotionen des Mannes, die sie offen nicht kennt, sondern sich immer ihre Gedanken zu ihnen gemacht hat, dann auch anzunehmen und damit umzugehen. Und diese Dynamik, merke ich immer wieder, die macht mir enorm Spaß. Denn da fängt es immer an, interessant zu werden.
Aber das ist auch wieder so ein Klassiker: Der Mann ist sich entweder seiner Gefühle nicht so richtig bewusst, Punkt Nummer eins. Punkt Nummer zwei: Wenn er sich seiner Gefühle bewusst ist, redet er nicht gerne darüber. Das kenne ich auch von mir.
Da habe ich immer den klassischen Tipp: Wenn Du als Mann eine gute Beziehung führen willst, dann darfst Du lernen, über Deine Gefühle zu sprechen.
Klingt plausibel, Carina. Das klingt sehr plausibel. Du berätst ja Paare in Einzelcoachings, bietest aber gerade auch betrogenen Frauen, zusätzlich Gruppenprogramme an, in denen sie mit anderen Frauen arbeiten. Wie arbeitest Du mit den Frauen in der Gruppe und worauf zielen diese Gruppen ab?
Ich arbeite mit betrogenen Frauen regelmäßig in Gruppen zusammen. Da geht es natürlich um das Thema Vertrauen und Liebe und um den gegenseitigen Austausch. Gerade diesen gegenseitigen Austausch finde ich enorm wichtig, denn ein Seitensprung wird gesellschaftlich immer noch unter den Teppich gekehrt. „Lass uns mal wieder probieren, dass wir miteinander können. Am besten sprechen wir nicht mehr darüber. Wir sprechen auch mit anderen nicht mehr darüber.“
Da kommt die kleinste Energie dazu, nämlich das Schämen. Und meine Erfahrung, auch meine eigene Erfahrung ist: Dann kannst Du es gar nicht verhindern, dass es wieder passiert. Und ich möchte, dass wir uns auch trauen, nach außen zu gehen, zu zeigen: Auch nach einem Seitensprung ist es möglich, wieder zu vertrauen und zu lieben. Und dieser gegenseitige Austausch unter Frauen bringt da enorm viel Input für jede einzelne und auch dieses Gemeinschaftsgefühl: Ich bin nicht allein.
Ja, ich glaube, das macht eine Menge aus. Deswegen mache ich auch diesen Podcast, damit man sieht: Man ist nicht allein. Das wäre doch eine schicke Idee, wenn Du jetzt auch noch eine Männergruppe hättest, in die die Männer gehen und sich austauschen können. Aber die hast Du noch nicht, oder?
Nein, die habe ich noch nicht, aber Du bist nicht der Erste, der mich danach fragt. Und ich bin am Überlegen, ob ich das starten werde. Wahrscheinlich könnte das Jahr 2024 spannend werden.*
Da bin ich gespannt. In den Shownotes findet sich ja der Link zu Deiner Website. Da wirst Du ja sicher informieren, wenn es soweit ist. Carina, kommen wir noch mal zu der These zurück, dass manche Paare zu spät zum Coaching kommen. An welchen Kennzeichen können Paare denn erkennen, dass ihre Beziehung eine Beratung, ein Coaching benötigt, damit es gar nicht erst zum Seitensprung eines Partners kommt?
Da fällt mir spontan ein: Ich unterhalte mich viel mit Paaren, die ich zum Beispiel in Restaurants sehe. Ältere Paare, die glücklich ausschauen. Ich scheue mich nicht, weil es mein absolutes Interessensgebiet ist, diese Paare zu fragen: Was ist das Geheimnis Ihres Glücks und Ihrer offensichtlichen Liebe? Und woran würde ich im Gegenzug erkennen, dass Paare nicht mehr so gut miteinander können und vielleicht zum Coaching gehen sollten, bevor ein Seitensprung vorkommt.
Langjährige, glückliche Paare gehen miteinander ins Restaurant und haben gute, tiefgründige Gespräche. Ihnen geht die Kommunikation nicht aus. Und wenn wir uns umschauen, sitzen sehr oft Paare am Tisch, schweigen, schauen sich die Nachbarn an, schauen ins Handy. Ich kann das sehr oft beobachten und ich würde sagen: Das sind schon erste Anzeichen dafür, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Ich will nicht sagen, dass diese Beziehung automatisch in einem Seitensprung endet. Aber diese Beziehung darf sich neuen Input suchen und darf sich wieder auf den Weg machen, die Verbindung miteinander hinzubekommen, diese Wertschätzung, diesen gegenseitigen Respekt, sich die Perspektive des anderen anzuschauen. All das sind Mittel und auch notwendige Werkzeuge, um wieder in eine glückliche Partnerschaft zu kommen.
Das ist ein guter Hinweis. Mir ist das auch manchmal aufgefallen, dass Paare sich anschweigen und am besten noch die Gespräche am Nachbartisch abhören, weil es sonst nichts Interessantes zu hören gibt. Das empfinde ich als sehr belastend und ich frage mich immer: Was ist da los? Jetzt noch zwei abschließende kurze Fragen: Dein Appell an Männer, wenn sie fremdgegangen sind?
Schau erst mal genau auf Dich. Was hat Dich dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen? Und dann: Was willst Du? Triff eine Entscheidung! Wenn die Entscheidung zu Hause auf Dich wartet: Geh heim, sei ehrlich, aber erzähle nicht alles.
Das erst im Coaching.
Es ist manchmal besser, wenn die betrogene Frau nicht alles weiß. Sie würde es gern wissen, aber das macht das Gedankenkarussell noch schlimmer.
Und jetzt die umgekehrte Sicht: Dein Appell an Männer, die betrogen wurden?
Ist nicht so unterschiedlich zum ersten Appell. Erstmal tief durchatmen und dann überlegen: Was will ich? Und auch: Was will meine Partnerin?
Ich habe es, glaube ich, eingangs schon erwähnt: Die wenigsten Paare trennen sich nach einem Seitensprung. Aber mein Appell ist wirklich: Holt euch professionelle Hilfe. Denn alleine werdet ihr es nur sehr schwerfällig und über einen langen Zeitraum schaffen.
*Seit März 2024 hat Carina Jatzwauk auch Männer im Gruppenprogramm. Das Interview wurde im Februar geführt.
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Wenn der Partner fremdgegangen ist: Wie die Beziehung nach einem Seitensprung heilen kann.
Es ist für jeden Mann mit Partnerin der absolute Albtraum: In der Lebensmitte erkrankt die Frau von Thomas Rogalla an Brustkrebs. Es beginnt ein jahrelanges Ringen um die richtige Therapie, offene Kommunikation zu den Kindern und Momente der Leichtigkeit. Am Ende verliert er seine Frau dennoch an den Krebs. In der Episode zeigt der junge Witwer, wie er aus dieser Krise herausfand und warum er heute glücklich und dankbar ist. Eine hoffnungsvolle Unterhaltung über Wachstum durch Krisen.
Interessante Links:
Carina Jatzwauks Coaching-Angebot: https://ccj-consulting.de/