In der zweiten Lebenshälfte stellen viele Menschen nochmal die Weichen neu – auch für ihren Körper. Im Beitrag „Wohlfühlgewicht für Männer ab 40“* haben wir uns mit Ernährung beschäftigt. Heute geht es um Sport, aber nicht in aller Breite, sondern wir schauen speziell auf das Thema Kraftsport. Warum es wichtig ist, unsere Muskeln zu stärken, das erklärt Dr. Frank Horlbeck. Er ist Arzt und hat seit mehr als 25 Jahren seinen Schwerpunkt im gerätegestützten Muskeltraining. Er ist zudem Vorstand in der Gesellschaft für Medizinische Kräftigungstherapie.
Ich konstruiere jetzt ein Fallbeispiel, das – glaube ich – gar nicht so untypisch ist für uns Männer in der Lebensmitte: Mann, Anfang 50, schwer eingespannt in Familie, Job, evtl. in der Pflege der eigenen Eltern, macht zu wenig Sport, bringt etwas zu viel Gewicht auf die Waage, hat schon die ersten Zipperlein, vielleicht einen Bandscheibenvorfall oder Arthrose. Warum sollte er mit Krafttraining beginnen und nicht etwa mit Jogging?
Er kann auch joggen, aber bei starkem Übergewicht ist es am Anfang sicher sinnvoll, Gelenke zu stabilisieren. Muskulatur stabilisiert Gelenke. Und ich habe sehr häufig erlebt, dass Menschen mit viel Motivation joggen, walken oder andere Sportarten betreiben, aber die Motivation dann sehr schnell weg ist. Und wir haben im Laufsport bei ca. einem Drittel der Läufer Nebenwirkungen oder Überlastungsschäden, sehr häufig in Gelenken, weil eben nicht so dosiert in diesen Sport reingegangen wird. Zu stabilisieren macht hier Sinn, sowohl Kniegelenke, Hüftgelenke als auch die Wirbelsäule.
Also auf jeden Fall kann man mit Kraftsport beginnen oder eben begleitend zu einem Ausdauersport wie Joggen…
Das eine schließt das andere nicht aus. Ich brauche für Ausdauer im Minimalfall ein Treppenhaus. Dort kann ich zwei-, dreimal am Tag schnell hochgehen, dann lasse ich das Herz sich kurz erholen, dann mache ich das nochmal. Diese Methodik, Tabata-Training oder hochintensives Intervalltraining, benötigt im Grunde genommen kein Studio.
Beim Muskeltraining sieht es etwas anders aus. Ich nutze lieber den Begriff Muskeltraining, weil ich es eher aus medizinischer Sicht sehe und nicht so sehr als Sport. Sport ist die maximale Herausforderung und Sport schafft auch Sportschäden. Nicht umsonst gibt es ja das Fach Sportmedizin, und wir sehen es als Körperpflege anstatt Olympia-Vorbereitung. Und mit 50 ist es fast schon zu spät. Man sollte spätestens mit 35 an Muskeltraining denken. Wir bauen alle ab dem ca. 30. Lebensjahr an Kraft und Kondition ab. Und hier sollte auf Vorrat antrainiert werden. Aber Sie haben recht, häufig ist ein gewisser Leidensdruck der Motivator zum Start auch in einem Trainingszentrum.
Wir haben ja schon das Thema Jogging kurz angesprochen. Wenn man jetzt penibel ist, müsste man fast drei sportliche Aktivitäten regelmäßig machen: Dehnung, zum Beispiel durch Yoga, Ausdauertraining für die Pumpe, für die Fitness des Herzens, sowas wie Joggen und dazu noch Krafttraining. Dafür haben wir Männer, gerade in der Lebensmitte. aber wenig Zeit. Was ist Ihr Rat? Wie schafft man es, alles drei irgendwie unter einen Hut zu bringen? Oder würden Sie da priorisieren?
Bei dem Training, das wir anbieten, gerätegestütztem Training, nutzen wir einen sehr großen Bewegungsumfang und schleichen die Belastungen auch ein. Durch den großen Bewegungsumfang konditionieren wir zuerst das Bindegewebe. Das heißt: Bei großer Bewegung wird das Gewebe in den Kraftlinien verstärkt. Wir haben, wenn wir gar nichts machen, ein verfilztes Bindegewebe, ein übersäuertes Bindegewebe. Da sind sogar Schmerzrezeptoren drinnen. Häufig kommen Schmerzen auch aus bindegewebigen Strukturen.
Das sind die Faszien, oder?
Das sind Faszien, ja. Und Kraft wird auch auf Faszien übertragen. Wir haben gelernt: Knochen – Muskel – Knochen, dazwischen ein Gelenk. Und der Muskel bewegt das Gelenk. Aber das ist nicht ganz stimmig, sondern ca. 20 Prozent – das ist von Muskel zu Muskel unterschiedlich – geht die Kraftwirkung auch in das Bindegewebe. Und dieses Bindegewebe muss zuerst rekonditioniert werden. Je älter wir sind, desto intensiver, bevor überhaupt ein intensiver Muskelaufbau stattfinden kann. Sonst haben wir das Problem, dass ein Muskel in einem zu engen Mantel steckt. Und das kann Schmerzen verursachen, Durchblutungsstörungen und eine verlangsamte Regeneration.
Also dehnungsorientiert trainieren, wenigstens am Anfang, um das Bindegewebe zu rekonditionieren. Deshalb ist ein Muskeltraining auch langfristig angelegt. Wir gehen davon aus, dass nach drei Monaten bei einem 35- bis 40-Jährigen und nach sechs Monaten beim Über-60-Jährigen erst das Maximum erreicht werden kann. Wenn man zu schnell und zu forsch vorgeht, macht man einen Fehler.
Ich verstehe das so, dass man beim gesundheitsorientierten Muskeltraining auch die Dehnung gleich mit dabeihat, sodass wir schon mal zwei Punkte der Liste sportlicher Aktivitäten abgehakt haben. Und das Ausdauertraining kann man durch Treppensteigen, Joggen, Schwimmen oder ähnlichem erledigen.
Das Herz ist ja auch nur ein hohler Muskel und Dienstleister der Skelettmuskulatur. Das Herz schlägt immer, die Muskulatur kann regenerieren. Und wir haben durch Muskeltraining auch eine Stärkung des Herzens. Wir haben eine Erhöhung der maximalen Sauerstoffaufnahme. Wir haben eine Blutdrucksenkung. Wir haben eine Regulierung der Körperfette. Also wir setzen an ganz vielen Stellen an, die wir sonst mit dem Ausdauertraining auch bekämpfen oder verbessern möchten. Wer einen Marathon laufen möchte oder sich auf einen Marathon vorbereitet, muss Marathon trainieren. Das ist völlig klar. Aber wer sonst gar nichts macht, also passiv ist, dem empfehle ich auf jeden Fall, mit Muskeltraining zu starten, nicht nur wegen der Gelenke, sondern auch, weil das Muskeltraining umso wichtiger ist, je älter ich bin.
Am Ende ist es entscheidend, dass man kein Pflegefall wird, dass man autonom leben kann, dass man aus dem Bett und von der Toilette aufstehen kann, und nicht, wie häufig und wie schnell man um sein Pflegeheim rennen kann. Also Muskeltraining ist für mich entscheidender als Ausdauertraining. Wenn Muskeltraining dazu führt, dass mehr Aktivitäten in der Natur, Radfahren, Schwimmen, dazukommen, ist das wunderbar. Aber einer der Vorteile des Muskeltrainings ist, dass ich mit geringem Zeitaufwand hochintensive Trainingsreize setze, und die eigentliche Kräftigung dann stattfindet, wenn ich selber passiv bin, nämlich in der Regenerationsphase.
Was muss ich denn an Trainingszeit beim Muskeltraining einkalkulieren?
Das hängt davon ab, ob Sie mehrere Muskeln zugleich trainieren, also große Muskelgruppen oder Einzelmuskulatur. Wir sehen das Training sehr individuell an. Kraft ist Medizin und Medizin muss individuell angepasst werden. Pro Muskelgruppe ein bis zweimal die Woche bis zur Erschöpfung trainieren in ca. 90 Sekunden. Dann sollte keine Wiederholung mehr möglich sein. Das ist der intensive Trainingsreiz, auf den der Körper dann reagiert. Wenn ich also acht Geräte habe, bin ich in 20 Minuten durch. Und wenn ich es zweimal die Woche mache, in 40 Minuten.
Beim Sport allgemein, auch beim Krafttraining, heißt es ja, dass man nicht in den Schmerz trainieren soll. Wenn es weh tut, nicht weiter trainieren, nicht stärker werden mit der Kraft. Das hieße, wenn ich Rückenschmerzen habe, sollte ich nicht Sport machen oder Gewichte stemmen. Also soll ich warten, bis alle Schmerzen abgeklungen sind? Aber das kann ja dauern.
In der Regel ist es richtig, nicht in den Schmerz hineinzutrainieren, weil dort gar nicht der optimale Trainingsreiz gesetzt werden kann. Der Schmerz inhibiert, unterdrückt also diese Ausbelastung. Natürlich ist es so: Bei dem, der Vorschäden hat, meist chronischer Natur, ob das in den Gelenken ist oder in der Wirbelsäule, dort gehen wir langsam rein mit der Dosis. Der Schmerz ist meist ein Instabilitätsschmerz, wenn er chronisch ist. Wir versuchen über eine Stabilisierung Voraussetzungen zu schaffen, dass wir intensiv an der Wirbelsäule trainieren können.
In der Startphase ist es manchmal sinnvoll, direkte Übungen zurückzunehmen, Rumpfstabilität zuerst zu trainieren, zum Beispiel über Bauchmuskulatur oder Gesäßmuskulatur, eine Beckenkippung zu beseitigen oder das Becken etwas aufzurichten. Dann sind die biomechanischen Voraussetzungen an der Lendenwirbelsäule besser. Das erfordert Wissen, das erfordert auch medizinische Beratung und man muss sich immer den individuellen Fall anschauen. Wo ich strikt dagegen bin, ist, bei Schmerzen in der Schulter zu trainieren. Das ist ein sehr häufiges Problem, das auch zunimmt. Ob das mit unserer Bürotätigkeit zu tun hat, kann ich nicht sagen. Aber ich beobachte in der letzten Zeit, dass fast jeder Zweite, der zu mir kommt, Schulterprobleme mitbringt. Und dort finden wir immer Übungen, wo wir schmerzfrei trainieren können und Muskelgruppen erfassen, die letztlich das Schultergelenk stabilisieren. Aber es ist sehr individuell.
Das heißt, dass Muskeltraining auch dazu dient, Dysbalancen auszugleichen. Und wenn dann vielleicht dieser erste Schmerz verschwindet, kann man auch weiter trainieren. So klingt das für mich.
Naja, es hängt von der Schmerzursache ab. Ich kann entzündliche Schmerzen haben. Im akuten Schmerz ist immer zuerst die Abklärung der Ursache wichtig. Wenn ich die Ursache kenne und er ist chronisch oder wiederholend da und es liegt keine veränderte Schmerzsymptomatik vor, dann kann man mit dem Training vorsichtig beginnen.
Wie gesagt, tastet man sich dort heran, muss probieren und langsam steigern. Der Körper muss auch lernen, tolerant zu sein. Wer zu intensiv trainiert, kann sich eine Blockierung der Wirbelsäule oder auch der Kreuzbein-Darmbeingelenke, also dieser Gelenke, mit denen die Wirbelsäule im Becken steht, zuziehen und der kommt dann auch nicht mehr zum Training. Also der Beginn ist die kritische Phase, in der es auch gilt, den Betroffenen die Angst zu nehmen. Viele denken ja, dass es wie beim Stoßdämpfer des Autos ist, der schon etwas verschlissen ist, und wenn ich jetzt an Geräte gehe, verschleißt der mehr. Biologie funktioniert genau umgekehrt: Ich muss einen Reiz setzen und dann kommt es zur Regeneration, in einem gewissen Umfang.
Es gibt auf YouTube viele Fitness-Gurus, die sagen: „Trainiere doch mit dem Eigengewicht, das reicht vollkommen aus.“ Reicht das?
Um sich eine Grundfitness zu erhalten, reicht das aus. Aber wenn ich das Training einschleichen muss, wenn ich es dosieren muss, dann kann ich natürlich wenig verändern. Und beim Gerätetraining ist es so, dass wir von einem progressiven Training sprechen, das heißt, dass nach und nach das Gewicht gesteigert werden kann, und zwar mit der Steigerung der Kraft, sodass ich immer diesen Trainingsreiz in der Zeitspanne von einer Minute bis maximal zwei Minuten setze. Das ist deshalb sinnvoll, weil ich damit alle Muskelgruppen erreiche, sowohl langsame Muskeln, das sind die Typ-1-Muskeln, und die schnellen verschiedene Muskelgruppen der sogenannten Typ-2-Fasern. Das geht optimal, wenn ich eben in dieser Trainingszeit eine Erschöpfung erreiche. Und wenn ich zum Beispiel über Kniebeugen oder Liegestützen trainiere und ich werde kräftiger, dann komme ich aus diesem Zeitintervall raus.
Wir haben jetzt viel über Muskeltraining gesprochen. Da hat man schnell die Assoziation der klassischen Muckibude, wo Männer pumpen und eiweißreiche Drinks zu sich nehmen. Wie muss ich mir ein Trainingszentrum vorstellen, das eher gesundheitsorientiert die Muskeln trainiert?
Das steht und fällt mit der Betreuung. Dass die Mitarbeiter vor Ort sind und medizinische Grundkenntnisse haben. Dass vor Ort auch Spezialisten sind, die sich mit den Krankheitsbildern auskennen und die Dosierung individuell festlegen und überwachen. Es liegt auch an den Trainingsgeräten. Diese Geräte haben einen variablen Widerstand. Das heißt, der Widerstand ist nicht an jedem Punkt der Bewegung gleich. Und wir versuchen erst mal, die Dysbalancen, die innerhalb der Muskelbewegung sind, abzubauen, weil die auch häufig Schmerzursache sind. Das ist auch an der Wirbelsäule so. Des Weiteren ist die Methodik entscheidend. Und die Methodik ist, dass wir über langsame Wiederholungen versuchen, über einen großen Bewegungsumfang zu gehen, dass wir keine zu intensiven Reize setzen, aber trotzdem eine Muskelhypertrophie – so nennt sich das Wachstum der Muskulatur – auslösen.
Sie trainieren ja selbst einmal die Woche hochintensiv und hatten auch schon zwei Kreuzbandrisse, die Sie nicht haben operieren lassen, sondern mit Hilfe von Muskeltraining kuriert haben. Kann man viele Operationen durch Muskeltraining, durch Krafttraining verhindern?
Man kann auf alle Fälle ein Drittel oder fast sogar zwei Drittel aller Verletzungen verhindern, wenn man vorher trainiert hat, zum Beispiel vor saisonalen Sportarten wie Skifahren. Dort wirken sehr große Kräfte auf die Gelenke, und wer das ganze Jahr nichts gemacht hat und sich auf die Bretter stellt, der geht hohe Risiken ein. Deshalb sehen wir nachmittags auch die Rettungshubschrauber.
Wenn Verletzungen erfolgt sind, ist es wieder eine individuelle Abwägung. Ich glaube schon, dass sehr häufig zu schnell operiert wird. Es gibt aber auch Verletzungstypen, zum Beispiel komplexe Kniegelenksverletzungen, Bandverletzungen, Meniskusverletzungen, Knorpelverletzungen, wo faktisch eine Operationspflicht besteht und dann auch möglichst schnell. Ansonsten kann man konservativ vorgehen. Eine Operation sollte auch an der Wirbelsäule immer die Ultima Ratio, also die letzte Möglichkeit sein, wenn man alle zur Verfügung stehenden konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft hat.
Okay, also ein starker Präventionsanteil, bevor man überhaupt eine Verletzung bekommt. Man denkt ja, dass es beim Krafttraining nur um die Stärkung von Muskeln geht. Aber es hat ja, Sie haben es auch schon angedeutet, auch Auswirkungen auf andere Organe oder Systeme, zum Beispiel den Stoffwechsel oder die mentale Gesundheit. Wie sind hier die Zusammenhänge?
Ich würde mit einem anderen Organsystem anfangen, und zwar mit den Knochen. Die Knochen sind die siamesischen Zwillinge der Muskulatur. Und wer starke Muskeln hat, hat in der Regel auch starke, stabile Knochen. Und mit der steigenden Lebenserwartung sinkt die Knochendichte. Das ist nicht nur bei Frauen nach der Menopause so, sondern auch bei Männern. Und damit steigt das Risiko von Frakturen. Gerade bei Älteren haben wir einen Knochendichte-Wert, der sehr niedrig ist.
Das ist dann Osteoporose?
Das ist Osteoporose oder es kann auch schon Osteopenie sein. Man definiert da einen T-Wert, das heißt die Abweichung vom jungen Erwachsenen. Ich gehe davon aus, dass diese gesamten Normwerte überholt werden müssten, weil die heutige jungen Menschen gar nicht mehr die Kraft und Stabilität haben wie die, die damals als Normgruppe gedient haben. Das ist bei der Muskulatur auch so. Und ja, im Prinzip muss jeder, der älter wird, seine Muskulatur trainieren. Mir ist es absolut rätselhaft, warum dieses Grundwissen nicht verbreitet ist. So wie Kinder lernen, Zähne zu putzen, muss der 30-Jährige lernen, sich um seine Muskulatur zu kümmern.
Die Muskulatur hat ganz viele Auswirkungen präventiver Natur auf Organsysteme, zum Beispiel unser Immunsystem, auf unser Nervensystem, auf unseren Stoffwechsel. Auch begleitend, wer zum Beispiel eine Krebserkrankung hat – Krebs ist ein Knochen- und Eiweißräuber –, der sollte die Muskulatur aufbauen. Er verträgt dadurch sogar die oft aggressiven Therapien besser.
Sie haben gerade Stoffwechsel genannt. Wirkt es präventiv gegenüber Diabetes?
Man muss beim Diabetes unterscheiden, ob es der sogenannte Altersdiabetes ist oder der Typ-1-Diabetes, der durch primäre Schäden der Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse entsteht. Aber mit über 95 Prozent handelt es sich um den Altersdiabetes, wobei das Wort schon falsch ist. Ich habe Jugendliche erlebt, die Diabetes durch Übergewicht haben. Und viele Jugendliche mit Übergewicht haben die Vorstufe, die man Insulinresistenz nennt, wo der Körper viel Insulin ausschüttet, um den Zucker, der im Blut ist, im Körper unterzubringen. Zucker ist für mich Suchtmittel und fast ein Gift. Nicht verbrauchter Zucker wird in Fett umgewandelt, das Fett erhöht wieder die Insulinresistenz. Gleichzeitig schütten Fettzellen entzündungsverursachende Hormone aus. So wie die Muskeln schützen, können die Fettzellen schädigen. Das ist ein komplexes Spiel, und Studien zeigen, dass bei regelmäßigem Training der Muskulatur die Häufigkeit, die Inzidenz von Typ-2-Diabetes um fast 50 Prozent geringer ist.
Wow, das ist doch mal ein Argument. Wie sieht es aus mit der mentalen Gesundheit? Ich habe gelesen, dass die sich auch verbessern kann.
Ja, das ist sogar der Weg, wie ich zum Muskeltraining gekommen bin. Ich war in einer verhaltenstherapeutischen Klinik, und da gab es aus den USA erste Studien, die bei Angsterkrankungen und bei Depressionen Muskeltraining eingesetzt haben und sehr gute Ergebnisse zeigen. Und das hat sich in der Tat bestätigt. Viele Erkrankungen, auch psychischer Natur, bedürfen auch eines Muskeltrainings.
Das Problem ist bloß: Wer depressiv ist, der beginnt selten ein Training. Man sollte die Patienten motivieren, und es sollte Schnupperkurse geben. Viele können nicht direkt in ein Trainingsstudio gehen zu anderen Leuten. Aber es gibt Physiotherapeuten, die bieten auch medizinische Trainingstherapie an, erstmal als Einstieg in einer Einzelbehandlung. Es muss so selbstverständlich sein wie Zähneputzen und dann gehen die Leute auch hin. Wir wissen heute, dass sich auch Demenz durch körperliche Aktivität vorbeugen lässt. Hier spielt Ausdauertraining eine Rolle, hier spielt der gesunde Schlaf eine Rolle und hier spielt ganz stark auch Muskeltraining rein.
Es ist ja häufig so, dass die Leute abnehmen wollen. Das Körpergewicht spielt aber gar nicht so eine große Rolle, sondern der Körperfettanteil ist das Entscheidende. Also müsste ich eher die Körperzusammensetzung als Maßstab dafür nehmen, wie mein Körper reagiert, wie erfolgreich mein Training ist. Wir haben heutzutage auch Normalgewichtige, die eine Sarkopenie, also einen zu geringen Muskelanteil haben, und dadurch die gleichen Krankheitsrisiken haben, die sonst nur Übergewichtigen zugeschrieben werden.
Die sind äußerlich schlank oder sogar dünn und haben aber zu wenig Muskelmasse und deswegen prägen sich solche Krankheiten aus.
Die haben zu wenig Muskeln, die haben zu wenig Knochendichte und die haben ein verfilztes Bindegewebe und bewegen sich deshalb weniger. Es ist eine Inaktivitätsspirale. Erste Probleme schränken die Agilität der Menschen ein und die eingeschränkte Agilität verstärkt die Probleme.
Ein klassischer Teufelskreis.
Genau. Und den muss ich durchbrechen.
Sie haben in Ihrem Buch „Starke Menschen bleiben jung“ geschrieben, dass die positiven gesundheitlichen Auswirkungen von Muskeltraining noch breiter sind als die von Ausdauertraining. Inwiefern?
Ich habe durch trainierte Muskulatur Stabilität im Leben. Ich möchte nichts gegen Ausdauertraining sagen. Das ist eine sehr gute Aktivität und deutlich besser, als nur auf dem Sofa zu sitzen. Es gibt bei Ausdauertrainierenden ebenso wie bei Muskeltrainierenden Suchtprobleme. Aber die Basis ist für mich eine starke Muskulatur. Das heißt, dass der Muskelanteil beim Mann wenigstens 40 Prozent erreicht und bei der Frau etwa 30 bis 35 Prozent. Darunter sollte es nicht gehen, weil die Sarkopenie, also das Herunterfahren der Muskulatur, Auswirkungen auf alle Organsysteme hat.
Muskulatur ist ein positiver Signalgeber für die Zellen, setzt Botenstoffe frei, entzündungshemmende Stoffe und appetitregulierende Stoffe. Wir kennen heute über 800 sogenannte Myokine. Und dafür brauchen wir große Muskelgruppen, also die Sprintmuskeln. Beim Ausdauertraining trainieren wir in der Regel aber nur die langsameren Muskeln. Und gerade im Alter brauchen wir zur Sturzprävention auch diese schnellen Muskeln. Und die können wir über Ausdauertraining gar nicht erreichen.
Das ist ein guter Hinweis, denn ich bin am Wochenende in der Dusche gestürzt und konnte mich ganz gut abfangen. Vielleicht hat mein Krafttraining auch da was bewirkt… Ich war schon mal bei Physiotherapeuten, wie viele von uns nach einer Verletzung, und habe dann immer wieder Kritikpunkte gehört, wenn ich gesagt habe: „Ich trainiere in einem Zentrum für medizinische Kräftigungstherapie“. Und da gehen wir jetzt mal auf ein paar Kritikpunkte von Physiotherapeuten ein, und Sie antworten darauf. Ein Kritikpunkt ist, dass Gerätetraining hochstandardisiert ist und feste Abläufe hat, aber sowas wie individuelle körperliche Einschränkungen oder funktionelle Probleme werden nicht ausreichend berücksichtigt.
Das Gerätetraining ermöglicht einen dosierten und präzisen Widerstand von außen, also gramm- und gradgenau. Und ich kann den individuell abstimmen. Ich habe vorhin schon gesagt, dass der Widerstand erstmal die Dysbalancen innerhalb der Muskulatur abbaut. Ich muss Agonisten und Antagonisten, also Spieler und Gegenspieler trainieren. Ich kann das sehr gut tun. Ich kann die Kraft messen, ich kann also den Erfolg messen. Speziell an der Wirbelsäule, an Hals- und Lendenwirbelsäule machen wir eine Funktionsanalyse, wo wir uns die Sachen genau anschauen und den Trainingserfolg messbar machen. Und ich kann natürlich Gelenke einzeln trainieren. Wir haben beispielsweise für Sprunggelenke eine sehr schöne Übung. Und wir haben wahrscheinlich, das sage ich auch mit Stolz, das beste Trainingsgerät im Bereich der Schultermuskulatur, das es weltweit überhaupt gibt. Und es kann schon sein, dass da einige Physiotherapeuten auch etwas neidisch sind.
Das war für mich schon recht überzeugend. Nächster Punkt: Das Training an Maschinen stärkt vor allem isolierte Muskelgruppen. Koordination, Gleichgewicht, Beweglichkeit kommen zu kurz. Aber ich glaube, diesen Kritikpunkt haben Sie schon ganz gut entkräftet.
Gleichgewicht ist wichtig, auch zur Sturzprävention, das ist völlig klar. Für das Gleichgewicht oder gegen Gleichgewichtsstörungen brauche ich diese Typ-2-Muskeln, die sehr schnell reagieren können. Es spricht aber nichts dagegen, ein zusätzliches Koordinationstraining zu machen. Aber die Basis ist der Erhalt der Muskulatur und zwar individuell auf Vorerkrankungen abgestimmt. Und da sind ein Funktionstraining oder moderne Trainingsmethoden, die junge Leute machen können und auch machen sollen, für viele, die zu mir kommen, nicht geeignet. Die haben das letzte Mal Schulsport gemacht und starten dann mit 65 mit dem Muskeltraining. Da muss man wirklich vorsichtig vorgehen und auch erstmal im Kopf die Bereitschaft dafür erzeugen und dann wirklich ganz individuell gramm- und gradgenau trainieren.
Ich glaube, Sie haben schon so viel zu diesen Punkten gesagt, dass der nächste Kritikpunkt auch schon entkräftet ist: Das Prinzip des intensiven Trainings bis zur Muskelerschöpfung kann problematisch sein. Gerade Menschen in der Lebensmitte haben häufig Vorschädigungen, zum Beispiel Arthrose. Hier ist dosiertes, angepasstes Training wichtig statt Maximalbelastung.
Man muss unterscheiden. Maximalbelastung ist es nicht. Ich belaste die Gelenke eher gering. Was ich mache, ist die maximale Erschöpfung der Muskeln. Das ist der Trainingsreiz. Ich kenne leider Kollegen, auch Physiotherapeuten, die sagen: „Belasten Sie sich bitte nicht zu sehr.“ Das ist der völlig falsche Ratschlag, weil sie dann Bewegungsübungen machen, und Bewegung hat für sich noch keine Qualität. Ich muss einen überschwelligen Reiz setzen, einen Reiz, den der Körper wahrnimmt und das mit möglichst geringer Belastung. Und dafür sind die Geräte hervorragend geeignet.
Weil die Gelenke entlastet werden, aber der Fokus auf den isolierten Muskel gesetzt wird.
Die Schäden, die viele mitbringen, die passieren ja nicht in zwei Minuten Training pro Woche in dem Gelenk, sondern die passieren bei instabilen Gelenken. Gerade der Mangel an Belastung in unserem Alltag macht uns krank. Deshalb müssen wir Belastung in den Alltag hereinbringen, um belastbar zu werden.
Letzter Punkt aus der Kritik-Ecke: Gerätegestütztes Krafttraining ist eher nüchtern, reduziert, effizient – aber wenig spielerisch oder motivierend. Für viele Menschen – besonders Einsteiger in der Lebensmitte – sind Spaß, Abwechslung und soziales Miteinander wichtige Faktoren für langfristige Trainingsmotivation.
Wenn man Zähne putzt, ist das auch nicht so motivierend, aber das strahlende Lächeln danach schon. Und genauso geht es vielen Älteren. Ich möchte ein Beispiel bringen: Ich habe eine Trainingsgruppe bei mir, die nenne ich „Uhus“. Das wissen die, das sind Unter-100-Jährige, aber Über-90-Jährige. Und eine dieser Frauen, die ist 93, sagte mir: „Es ist schade, dass ihre Kinder mit ihr nicht mehr in den Urlaub fahren können, weil die schaffen es nicht mehr.“
Und das ist das Entscheidende: Man macht dieses Training, man setzt diesen Reiz, um das Leben genießen zu können, um autonom zu bleiben. Also nicht die Trainingszeit ist das Entscheidende, sondern das, was zwischen den Trainings passiert und was ich im Leben alles noch machen kann.
Ich habe ja Ziele im Leben. Und gerade wenn man an die Rente kommt, nimmt man sich noch so viel vor, und wenn dann gesundheitliche Handicaps bestehen, dann wird es halt schwer damit. Mir macht es, ehrlich gesagt, auch nicht so großen Spaß. Ich gehe bis an die Belastungsgrenze. In Umfragen sagen aber ein Drittel der bei uns Trainierenden: „Doch es macht ihnen Spaß.“ Besonders diese Konzentration, dieses Spüren des eigenen Körpers, diese Ruhe, dieses Gefühl danach, etwas für sich getan zu haben. Sie sind stolz auf sich. Das Selbstbewusstsein steigt, die Körperhaltung verbessert sich. Körperhaltung beeinflusst auch unsere Psyche ganz stark. Das sind Faktoren, die mir berichtet werden. Und ich habe schon etwa 20.000 Menschen beim Training beraten. Insofern ist das nicht völlig spaßfrei, aber das Ergebnis ist das Entscheidende.
Ja, ich kann da auf jeden Fall zustimmen. Für mich ist es ein bisschen wie Zähneputzen. Es ist nicht schlimm, aber ich sage jetzt auch nicht „Hurra, jetzt gehe ich wieder ins Training“. Aber danach fühle ich mich besser und ich weiß, wofür ich es mache. Also das kann ich absolut mittragen… Soweit zur Kritik von Physiotherapeuten. Letzte Frage: Wenn Muskeltraining eine Pille wäre, was würde auf dem Beipackzettel stehen?
In der Tat gibt es Forschungen, die Muskeltraining simulieren sollen oder die Wirkungen von Sport simulieren sollen. Es würde draufstehen: Zweimal wöchentlich einnehmen. Aber ich hoffe, dass es das nicht als Pille gibt, weil gerade die Aktivität sehr viele Wirkungen auch im Herz-Kreislauf-System, in der Psyche, im Immunsystem zeigt. Und diese Grundaktivität sollte den Menschen erhalten bleiben. Es würden vielleicht mehr Menschen die Pille nehmen, man würde auch sehr viel Geld dafür ausgeben. Denn bei uns ist es so: Die Menschen müssen ihre Zeit opfern und Geld ausgeben dafür, dass sie sich anstrengen. Das machen Menschen nicht so gern. Aber die Wirkungen auf ihr Leben und die Verbesserung ihrer Lebensqualität, ja sogar die Verlängerung ihrer Lebenserwartung sind entscheidend. Wir können zum Beispiel eine Handkraftmessung machen. Das ist mit einem einfachen Dynamometer möglich. Und diese Handkraftmessung sagt mehr über unsere zukünftigen Krankheitsrisiken aus als eine Blutdruckmessung. Nur der Blutdruck ist in aller Augen und der wird bekämpft mit Medikamenten – wahrscheinlich zu 50 Prozent für den Mülleimer. Aber bei der Handkraftmessung gibt es noch ganz viele Widerstände. Und für mich, wie gesagt, ist es unbegreiflich, dass so wenig Menschen anfangen, für ihren Körper aktiv zu werden.
Titelfoto von Nigel Msipa auf Unsplash
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* Beitrag „Wohlfühlgewicht für Männer ab 40: Mit smarter Ernährung gesund und fit bleiben“
Dr. Frank Horlbeck im Netz: Gesellschaft für Medizinische Kräftigungstherapie und Magazin „Reflex 78“
