Viele Männer fiebern schon mit Mitte 50 der Rente entgegen – endlich frei sein, reisen, Hobbys nachholen. Ganz anderes im Sinn hatte mein heutiger Gast: Nach dem Ende seines Arbeitslebens, in dem er sich mit der Restaurierung von Oldtimern beschäftigt hatte, startete er nochmal eine neue Karriere. Heute beschäftigt er sich als Vortragsredner und Buchautor mit dem Thema „Tätigsein im Alter“. Sein Appell an uns Midlifer: Plant schon jetzt Eure Zeit nach der Rente!
Wie kam es eigentlich bei Dir zum Schwenk des Interesses von alten Autos hin zu alten oder älteren Menschen?
Es liegt ja fast auf der Hand. Das eine heißt Oldtimer. Im Englischen ist der Oldtimer aber ein alter Mensch und kein altes Auto. Ich beschäftigte mich hauptsächlich über 40 Jahre lang mit vierrädrigen Oldtimern und jetzt bin ich bei den zweibeinigen Oldtimern gelandet.
Aber da gab es ja dann irgendwann den Punkt, an dem Du gesagt hast: „So, dieses Thema, das hefte ich mir jetzt an die Brust und damit gehe ich raus in die Welt.“ Was war der Moment, an dem Du gesagt hast: „Das ist es, das muss ich anpacken, weil da fehlt noch was“?
Das war kein Moment, das war Work in Progress. Wir sind ja nicht von heute auf morgen alt, sondern wir werden alt. Und wie wir alt werden, ist eine Entscheidung. Und das ist bei mir so ähnlich passiert. Ich war 65 – bei uns geht man mit 65 in Rente – und auch als Unternehmer, selbst wenn meine Rente verschwindend gering ist gegenüber anderen, die im Staatsdienst waren, bin ich zu der Pensionsversicherungsanstalt gegangen und habe gesagt: „Ich habe da meinen Bescheid. Darf ich noch weiterarbeiten?“ Daraufhin schüttelte er den Kopf und sagte: „Na, gern sehen wir das nicht.“ Das ist doch schrecklich, bitte! Aber das war vielleicht die Initialzündung, wo ich gesagt habe: „Stopp, ich will ja noch mindestens 20 Jahre arbeiten.“ Das ist jetzt fünf Jahre her, ich sage immer noch 20 Jahre.
Da stehst Du wahrscheinlich allein auf weiter Flur auf diesem Pensionsamt.
Nein, nein, nein, ganz sicher nicht. Und zwar, glaube ich, hängt das wirklich von der Perspektive ab. Alle Künstler zum Beispiel, schau sie Dir an, arbeiten, bis sie tot umfallen.
Stimmt.
Politiker, man mag sie beurteilen, wie man will. Der Großteil der Politiker an der Macht sind älter als ich. Also es sind viel mehr Menschen, die, wie soll ich sagen, wie ich freudvoll weiterarbeiten wollen und gleichzeitig sinnstiftend. Denn wir Menschen wollen gesehen werden. Wir wollen wahrgenommen werden. Und der hat mich besonders gereizt, aber das war vielleicht nur das Tüpfel auf dem „i“. Nein, ich wollte ja weiter tun. Nur war die Frage mit 65: „Was tue ich? Womit will ich mich die nächsten 20 Jahre beschäftigen?“
Und ich als Techniker habe für mich dann Listen gemacht: „Was will ich absolut überhaupt nicht? Was will ich unbedingt? Und was hindert mich daran, das zu tun?“ Und dann hat sich herausentwickelt, dass ich in Zukunft nicht das Gleiche machen will wie bis dato, aber verwandt damit. Denn die letzten 20 Jahre war ich hauptsächlich als Gutachter für alte Autos unterwegs. Zuerst habe ich sie restauriert, später wurde ich Sachverständiger und habe weltweit Restaurationen begleitet. Und heute habe ich noch drei Autos, die ich begleite. Also ich wollte nicht das Gleiche weiterarbeiten, denn mit 85 komme ich ja sicher unters Auto. Aber: Wie komme ich wieder rauf? Da war dann die Überlegung, es muss etwas ganz Anderes werden. Und mein Schluss war: Ich will Vorträge halten und Bücher schreiben.
Da musst Du nicht irgendwo runterkrabbeln. Der Mund funktioniert, das Hirn funktioniert – wunderbar. Da warst Du Mitte 60. Du hast mal in einem Interview gesagt, man solle mit Mitte 50 die Zeit nach dem Arbeitsleben planen. Da steckt man ja noch voll im Job und es sind noch mindestens zehn Jahre bis zur Rente. Warum gerade zu dieser Zeit?
Ich habe den Fehler gemacht, wie wahrscheinlich die meisten Unternehmer, die in einem Hamsterrad drinnen sind, und ununterbrochen arbeiten. Ich habe 80 Stunden die Woche gearbeitet und das seit 40 Jahren. Das sage ich nicht, weil ich so toll bin. Ich habe es ja freiwillig gemacht. Aber das hat eine gewisse Eigendynamik. Und das habe ich leidenschaftlich gemacht und ich habe sicherlich den Fehler gemacht, mich nicht rechtzeitig damit zu beschäftigen. Der enorme Vorteil für mich war, dass ich es mir ökonomisch leisten konnte, erst mit 65 nachzudenken. Und das können viele nicht. Und es ist, glaube ich, wichtig, dass wir sehr frühzeitig beginnen, uns mit Dingen zu beschäftigen, die zwangsläufig kommen werden. Denn Rente heißt: weniger Geld, viel mehr Zeit, um Geld auszugeben. Es heißt, dass Du mit Deiner Partnerin oder Deinem Partner 24/7 zusammen bist. Und die meisten Partnerinnen kommen dann daher und sagen. „Ich habe Dich nicht geheiratet für 24 Stunden am Tag.“
(lacht) Du kennst ja „Papa ante Portas“...
Ja, genau! Das heißt, wenn Du Dich rechtzeitig damit beschäftigst, hast du eine viel größere Chance, das Resultat so herzustellen, wie Du es willst. Insbesondere, was die Arbeit betrifft. Denn wenn Du mit 55 oder 58 zu Deinem Chef oder zu Deiner Chefin gehst und sagst: „Chefe, in 5, 6, 7 Jahren gehe ich in Rente. Ich würde aber gern weiterarbeiten. Ich stelle mich zur Verfügung.“ Dann hat der Chefe Zeit, darüber nachzudenken, und Du auch.
Und das geht nicht, wenn Du von heute auf morgen in Rente gehst, und dann sagst: „Naja, ich würde ganz gern noch ein, zwei Tage in der Woche weiterarbeiten.“ Also das ist einer der ganz wichtigen Gründe, abgesehen vom rein Ökonomischen, dass wir dann, wenn wir in Rente sind, noch eine Struktur haben und wissen, wofür wir aufstehen in der Früh. Dass wir unserem Ehepartner eine Zeit lang aus dem Wege gehen, damit der seinen Frieden hat. Und es betrifft auch unser Sozialleben. Soziallleben mit 65 aufzubauen, geht nicht. Das musst Du früher aufbauen. Und daher aus vielerlei Gründen: Fang zwischen 55 und 58 damit an.
Okay, aber warum soll ich denn nach meinem Arbeitsleben weiterarbeiten? Es gibt doch so viel Anderes zu tun: Verreisen, jeder hat so seine Bucketlist, wo er noch hin will. Hobbys. Enkelhüten, ich weiß, Du hast auch Enkel. Ein Ehrenamt ausüben. Also die meisten Rentner, die ich kenne, sind schon ziemlich beschäftigt. Halt nicht mit Arbeit, sondern mit ihrem Privatleben.
Ich habe viel Recherche betrieben für die Bücher, die ich schreibe. Über das Arbeiten im Alter, über das, wie es mir im Alter geht und wie ich damit umgehe. Meine Bücher beschäftigen sich heute schon mit der Arbeitswelt 50plus von Frauen und von Männern. Das neue Buch kommt demnächst heraus, da geht es über die Arbeitswelt von Frauen über 50.
In meiner Recherche der letzten sieben, acht, neun Jahre hat sich immer wieder ein Rhythmus gezeigt, und der heißt: Ich zähle die Tage bis zum Moment, an dem ich in Rente gehe. Dann kann ich all das tun, was ich mir vorgenommen habe. Oder was sich meine Frau für mich vorgenommen hat. Und dann müssen wir verreisen. Und dann muss der Zaun gestrichen werden und es muss der Keller geräumt werden. Und all das wartet auf mich, und ich warte schon wie ein Rennpferd darauf, entweder davonzugaloppieren oder das zu machen, damit ich einen Frieden habe. So, und dann mache ich das alles und nach sechs Monaten hat es sich ausgereist, der Zaun ist zur Hälfte gestrichen und der Keller ist immer noch nicht geräumt. Und dann fällt mir die Decke auf den Kopf. Und irgendwann kommt Deine Partnerin daher und sagt. „Magst Du nicht was Anderes tun?“
Das passiert erfahrungsgemäß fast immer nach ungefähr sechs bis acht Monaten. Und das ist der Moment, an dem man wissen muss, was man weiter tut. Dann kannst Du nicht erst zu überlegen beginnen. Du hast nämlich nur, und das ist das Komische, ein sehr schmales Zeitfenster von ungefähr weiteren sechs Monaten. Wenn Du ein Jahr weg bist vom Job, wenn Du ein Jahr weg bist aus Deiner Struktur, dann bist Du für die Arbeit verloren.
Du fällst quasi raus.
Dann brauchst Du für alles dreimal so lang. Du stehst nicht auf in der Früh. Du pendelst zwischen Netflix und Kühlschrank und Bett hin und her. Es dauert alles ewig und drei Tage. Du schaffst auch nichts mehr. Du baust im Hirn massiv ab. Daher meine Empfehlung: Wenn Du freudvoll altern willst, dann schau, dass Du einen Job hast. Der Job muss ja nicht heißen, dass er bezahlt ist. Ehrenamt, wunderbare Geschichte. Aber Du brauchst eine Struktur und Du brauchst etwas zum „Hinfreuen“. Und eine Arbeit oder eine Tätigkeit kann unheimlich viel dazu beitragen. Darum habe ich eins meiner Bücher genannt „Ich arbeite nicht mehr – jetzt bin ich tätig.“
Das leuchtet mir ein. Sonst könnte man auch den Advocatus Diaboli spielen und sagen: „Das klingt so, als wäre man nur etwas wert, wenn man als älterer Mensch noch was leisten oder beruflich tätig sein kann.“ Aber das wäre ziemlich verkürzt und das höre ich da jetzt nicht raus.
Nein, tätig sein. Lassen wir es beim „tätig sein“, kann bezahlt oder unbezahlt sein. Aber ich glaube, das Allerwichtigste ist nicht, ob wir jetzt arbeiten oder nicht, sondern die Struktur, die wir haben. Dass ich weiß, warum ich in der Früh aufstehe und dass ich etwas habe, worauf ich mich hinfreuen kann.
Ja, ich glaube auch, dass man schnell aus einer Struktur herausfällt und das Leben dann komplett ausfranst. In meinem Verwandtenkreis gab es einen Onkel, der nach der Verrentung sehr schnell gesundheitliche Probleme entwickelt hat, sich nicht mehr wertvoll gefühlt hat und ein Jahr später ist er gestorben. Es war wirklich krass zu sehen, wie der Verfall nach dem aktiven Berufsleben eingesetzt hat. Das spricht absolut für das, was Du gerade sagst... Die Yani Neugebauer vom Gründungszentrum 50plus, die Du auch kennst, die plädiert ja dafür, auf der jahrelangen Berufserfahrung, die man hat, aufzubauen und keine komplett andere Tätigkeit im Alter zu starten. Man hat ja ein Riesenwissen angesammelt. Das hast Du aber genau gemacht. Die Gründe hast Du genannt. Aber was spricht noch dafür in Deinen Augen, sich beruflich nach dem aktiven Arbeitsleben neu zu erfinden?
Ich gebe Dir eine geteilte Antwort. Ich schätze Yani sehr. Es ist ganz toll, was sie macht. Und ich glaube auch, dass es enorme Vorteile hat, in seiner Stärke zu bleiben. Es hat aber auch Nachteile. Es hat den Vorteil, dass es viel einfacher ist. Ich brauche mich nicht aus meiner Komfortzone herauszubewegen. Aber wenn ich mit 55, 57 anfange darüber nachzudenken, wie es weitergeht, dann sagen sehr viele Menschen: „Lieber Chef, ich würde gern im Unternehmen bleiben, aber lass mich doch eine bisschen andere Tätigkeit machen. Ich war zum bisher im Marketing, ich würde wahnsinnig gern in der PR arbeiten.“ Oder: „Ich war bis dato im Verkauf, von der Produktion habe ich nur am Rande etwas mitgekriegt, aber ich weiß so viel, was ich als Input geben kann.“ Also das Wechseln innerhalb desselben Arbeitgebers oder derselben Branche in einem anverwandten Bereich hat sehr viele Vorteile. Vor allem auch, dass wir natürlich einen Erfahrungsvorsprung haben, den wir mitnehmen können wie einen Rucksack.
Wie flexibel sind denn da die Unternehmen, jemanden, der beispielsweise 10, 15 Jahre im Controlling gearbeitet hat und sich für was Anderes innerhalb des Unternehmens interessiert, den woanders einzusetzen. Spürst Du auch Flexibilität von den Unternehmen? Oder sagst Du „Das ist nicht üblich“?
Zunehmend. Der Mitarbeitermangel ist in dem Fall ein Vorteil, weil die Dich ja halten wollen. Denn die Alternative ist, dass Du weggehst oder zur Konkurrenz gehst, weil sie wissen, dass Du machen willst. Und wenn es halbwegs vernünftiges Führungspersonal gibt, dann werden die sagen: „Bitte, bitte. Wie können wir Dich am besten einbauen, sodass es zu Deinem und unserem Nutzen ist.“ Also da spricht oder arbeitet die Zeit für uns.
Die Alternative dazu ist, etwas Neues zu machen, so wie ich. Obwohl es ja für mich nicht ganz neu war. Ich habe mit 45 eine Krebsoperation gehabt und meinen Restaurationsbetrieb stark reduzieren müssen und später zugesperrt, einfach aus gesundheitlichen Gründen. Es ging nicht anders. Ich bin dann mit 50 wieder auf die Uni gegangen und habe zwei Master gemacht, in Kommunikationswissenschaften und Journalismus. Und ich habe damals schon begonnen zu schreiben. Das heißt, es war für mich ein Übergang und nicht vollkommen neu. Das, was ich heute hauptsächlich mache, als Keynote-Speaker aufzutreten, das ist vollkommen neu. Und das war schon eine Herausforderung, etwas ganz Neues zu machen, etwas, was Dich richtig challenged. Das ist nicht jedermanns Sache.

Da musst Du wirklich richtig Energie zusammenpacken. Und Du hast nochmal zwei Master gemacht. Da muss man sich die Frage stellen, welche Weiterbildung man machen sollte, um nochmal auf ein Level zu kommen, bei dem es auch Sinn macht. Muss es ein Studium sein? Oder reicht auch ein Seminar oder ein Mentor, der einen coacht?
Ich sage Dir, was auf meinem Plan, auf meiner Bucketlist als zweiter Punkt stand, wenn ich nicht Speaker und Autor geworden wäre.
Jetzt bin ich gespannt.
Da kommst Du nie drauf: Ich wollte Assistent werden.
Assistent?
Ich wäre zu einem der Mächtigen gegangen, und mein Netzwerk ist sehr groß. Mit meinen alten Autos kam ich um die Welt und bin bei Königs ein- und ausgegangen und habe sehr viel Geld bewegt und Leute getroffen, die reich, wichtig und mächtig sind. Ich wäre zu einem dieser Leute gegangen und hätte gesagt: „Nimm mich auf als Taschenträger, als Assistent. Ich laufe 14 Tage lang hinter Dir her. Du kannst mir jede Arbeit geben, die Du einem Assistenten gibst. Ich verlange kein Geld dafür. Nach 14 Tagen entscheidest Du, ob Du mich haben willst oder nicht.“
Wow, das wäre auch eine spannende zweite Berufslaufbahn gewesen, oder? Wahnsinn!
Ja, auch heute würde es mich noch freuen, solche Dinge zu machen.
Wer weiß, nachher sattelst Du nochmal um.
Nein, nein, nein.
(lacht) Dir traue ich alles zu!
Ich habe so viel vor. Mein Leben packt das alles nicht mehr. Ich schreibe alle ein, zwei Jahre ein Buch. Ich bin als Redner gebucht auf Kreuzfahrtschiffen. Ich bin die nächsten zwei Jahre fast ausgebucht mit diesen Dingen. Es sind so viele Sachen in Bewegung geraten, aber von nichts kommt nichts. Von allein wird es nicht. Ich gehe jeden Tag in der Früh in die Arbeit und am Abend gehe ich um halb acht, acht nach Hause, sechs Tage die Woche, und bin gottglücklich dabei und hinterlasse viele Dinge, die ich nicht gemacht habe, weil ich nicht fertig geworden bin. Das ist nicht jedermanns Sache. Aber ich will damit nur sagen: Ich habe mir etwas ausgesucht, was mir unendliche Freude bereitet.
Das merkt man, Du brennst. Und das finde ich echt toll, dass Du mit so einem Elan und Engagement dabei bist. Jetzt sagen wir mal, hast Du mich angefixt, und ich würde sagen: Ja, ich kann ich mir ein zweites Arbeitsleben nach dem Eintritt in die Rente vorstellen. Wie würdest Du vorgehen? Was wäre Dein Rat?
Ich komme an den Anfang zurück, wie ich es gemacht habe. Nicht, weil ich selber so toll bin, sondern weil ich glaube, dass auch hier ein strukturierter Zugang vorteilhaft ist: Listen schreiben. Egal, ob digital, analog oder auch nur mental. Wirklich herauszufiltern, was ich will.
Denn Du bist aus verschiedensten Gründen in Deinem Job gelandet. Dieses „Ich-will-das-tun“ war selten der Hauptgrund. Meist war es die Familie oder der Schwiegervater, der wollte, dass man eine Wirtschaft übernimmt. Oder ich bin als Bauer aufgewachsen und die Kühe müssen versorgt werden. Ich muss schauen, wie ich das Geld herhole, damit die Kinder die Erziehung bekommen und so weiter. Und dann bist Du in einem gewissen Rhythmus drinnen und denkst selten darüber nach: „Was mache ich da eigentlich?“ Und jetzt habe ich die Chance zu wählen, und das ist wirklich eines der schönsten Dinge, wenn Du alt wirst und in Rente gehen kannst: die Wahlfreiheit. Die hast Du vorher selten. Und Du sagst: „Ich kann jetzt in Rente gehen, ich kann mit dem Geld leben. Der Großteil der Kosten ist geringer geworden. Ich habe jetzt die Wahl und ich habe Jahre Zeit, darüber nachzudenken, was ich wirklich will.“
Ich habe immer wieder Leute, die mich als Coach oder Mentor nehmen. Und denen sage ich: „Nimm dir sechs Monate Zeit und beginne, diese Listen zu schreiben. Heute!
Die eine Liste enthält, was ich wirklich will oder was ich besonders gerne mache…
Genau! Wo sind meine Stärken? Wofür brenne ich? Das zweite ist, was mache ich und will ich überhaupt nicht tun? Oder wohin will ich überhaupt nicht? Und das dritte ist: Was hindert mich daran, Ersteres zu tun? Die Familie, das Geld, der Job, die Distanz, was auch immer. Und dann sind wir wieder bei der Struktur. Sag Dir: „Jeden Mittwochnachmittag von 16 bis 17 Uhr beschäftige ich mich mit dieser Liste. Komme, was wolle, da bin ich nicht erreichbar. Eine halbe, dreiviertel Stunde ist gut, weil dann das Hirn offen wird. Noch ein Tipp dazu: Geh spazieren!
Die Bewegung macht was aus.
Sokrates hat gesagt: Walk and talk. Das heißt, ich bin in Bewegung, habe einen Zettel in der Hosentasche oder ein Mikrofon und dann lasse ich die Gedanken laufen. Und dann kommt mir irgendwas in den Sinn und schreibe es nieder auf diese Liste. Und dann lege ich sie weg für eine Woche. Und nächsten Mittwoch um 16 Uhr ist wieder Listenzeit. Und Du wirst sehen, dass über die sechs Monate die Liste marschiert und marschiert. Und dann sagst Du Dir: „Am Mittwoch, den 29.06., um 16 Uhr treffe ich eine Entscheidung. Und an die halte ich mich dann.“
Ich mache den Sack zu.
Dann machst Du den Sack zu. Und dann brauchst Du nachher nicht – verzeih, auf Österreichisch – Zweifel scheißen, sondern dann hast Du lange darüber nachgedacht, hast es von allen Seiten gewälzt. Besser wird es nicht mehr. Und dann mach es.
Ich kann mir auch vorstellen, dass ein halbes Jahr eine gute Zeitspanne ist, weil man am Anfang vielleicht noch Dinge aufschreibt, von denen man denkt, dass sie richtig sind. Und das verändert sich dann doch über die Zeit, oder? So war das bei dir wahrscheinlich auch.
Ganz richtig, natürlich. Darum meine ich auch, das ist Work in Progress. Das geht immer wieder woanders hin. Und einen Punkt habe ich vergessen: Setz Dich selber unter Druck. Und zwar ganz einfach, indem Du anderen davon erzählst. Das habe ich zum Beispiel mit dem Schreiben des ersten Buchs so gemacht. Ich habe ja Journalismus studiert und habe geschrieben und geschrieben und dann irgendwann habe ich mir gesagt: „Ich will ein Buch schreiben.“ Mein erstes Buch war über Oldtimer, „Passion Oldtimer“, ein Zweieinhalb-Kilo-Ziegel. Ich bin als Bestsellerautor eingestiegen, nachdem es sich so gut verkauft hat. Aber ich bin wirklich gezwungen worden, das zu schreiben, nachdem ich ein halbes Jahr lang allen Freunden erzählt habe: „Ich schreibe jetzt ein Buch.“
Ja, das ist eine Verbindlichkeit.
Dann kommst Du nicht mehr raus. Und dann machst Du es. Wenn Du sagst „Liebe Leute, ich überlege mir, wie es weitergeht.“ oder Du sagst deinem Chef „Cheffe, in einem halben Jahr möchte ich mit Ihnen ein Gespräch über Ihre und meine Zukunft führen.“ Puff, da stehst Du unter Druck.
Dann musst Du Dich vorbereiten, das ist richtig. Sag mal, gab es bei Deinem eigenen Neuanfang Dinge, die Du im Rückblick anders machen würdest?
Ja! (lacht). Wie viel Zeit hast Du denn?
Sag mal den wichtigsten Punkt.
Der wichtigste Punkt… (überlegt). Ich habe mich zu wenig in dem Markt umgesehen, in dem ich mich bewege. Ich habe gedacht: Du bist ja wer. Du hast internationales Renommee. Du warst mit Deinen alten Autos weiß Gott wo unterwegs und hast was zum Erzählen.
Aber in einer anderen Branche…
Natürlich. Und ich habe wirklich komplett die Marke „Richard Kahn“ überschätzt, die ich über 30, 40 Jahre aufgebaut habe, und die bis heute nachhallt. Denn ganz viele Leute sagen: „Ach, der Richard Kahn, alte Porsches und so weiter.“ Ich habe wirklich etwas aufgebaut. Und ich habe gedacht, auf dem kann ich aufbauen. Schmarrn, geht nicht.

Du fängst wirklich nochmal neu an und musst Dir alles erarbeiten, was Du vorher schon längst als Status hattest.
Genau. Vielleicht passt zusammengefasst der Satz: Es gibt keine Abkürzungen.
Gab es eigentlich in Deinem Umfeld auch Zweifler, die gesagt haben: „Mensch, Richard, jetzt genieß doch lieber mal das Leben und hör auf zu arbeiten!“
Täglich. Ich würde sagen, 85 Prozent meines Umfeldes sagt: „Spinnst. Was machst Du denn da?“ Mein Hauptthema heute ist neben dem Arbeiten, und daraus hat es sich entwickelt, das Thema Zuversicht. Weil wir leben heute in einer Welt, in der wir ununterbrochen schlechte Nachrichten hören. Wir sind zugemüllt mit Dramen und wissen überhaupt nicht mehr, wie wir in unserem kleinen Kopf mit diesen Riesendramen zurechtkommen sollen. Und wir schaffen es ja auch nicht, weil wir keines dieser Probleme lösen können.
Und da habe ich mir gedacht: Was ist so die Klammer, die auch das Arbeiten in späten Jahren umfasst, oder die Zukunftsvision als 50-55-Jähriger in einer heutigen Welt, die so schwierig geworden ist. Und meines Erachtens gibt es nur zwei Dinge. Das eine ist die Hoffnung und das andere ist die Zuversicht. Wobei die Hoffnung für mich die weniger erstrebenswerte ist, weil Hoffnung heißt: Ich ergebe mich dem Schicksal. Und Zuversicht heißt: Hoffnung plus Arbeit. Das heißt, ich tue etwas dafür. Daher ist mein Herzensthema heute, zuversichtlich in dieser Welt unterwegs zu sein. Und dazu gehört auch Mut. Dazu gehört auch, Dich aus Deiner Komfortzone herauszubewegen. Und Du hast ja vielleicht gesehen, ich habe Dinge wie Dancing Stars mitgemacht. Und das war weit jenseits meiner Komfortzone, muss ich sagen.
Und Model warst Du auch.
Ja, und lauter so Dinge, wo ich sage: „Schrecklich, was tut er da?“ Das sag ich dann über mich, und das sagen die anderen natürlich auch. Aber insgeheim denke ich mir, wenn mich die Leute darauf anreden und sagen „Hast Du nichts Gescheiteres zu tun, als weiterzuarbeiten? Lass doch die Jugend ran, lass doch die arbeiten“, dann sage ich: „Liebe Leute, Ihr wisst gar nicht, wie schön das ist.“ Ich will niemandem etwas wegnehmen und ich fördere sehr viel, wo immer ich kann, junge Leute. Ich habe ein Team von vier, fünf jungen Leuten, die mir zuarbeiten. Die sind sensationell und fleißig und toll und all das, was man sich erwarten kann. Aber ich will weiter freudvoll da sein, freudvoll arbeiten, das ist es halt für mich. Ich will wissen, wofür ich das tue. Ich will einen Sinn darin sehen. Und ich will einfach mich an dem freuen, was der liebe Gott mir gibt und dankbar auch ein bisschen was zurückgeben, wobei mein Altruismus nicht sehr ausgebildet ist. Also es ist schon auch egoistisch zu sagen, ich will das gerne tun.
Ja, Dich interessiert es und Du willst es… Du hast gerade Zuversicht und Hoffnung genannt. Ich kann mir vorstellen, dass doch viele von einem Neustart träumen, aber es fehlt ihnen der Mut, wahrscheinlich auch die Zuversicht. Was kann man gegen die Angst zu scheitern tun?
Das nächste Buch, das in drei Wochen erscheint, heißt „Frau, fit, fähig, 50 plus. Ich habe alles, was der Job braucht, nur nicht das Alter.“ Das trifft genau diesen Punkt, wobei Frauen ja noch einen wesentlich anderen Zugang haben als wir Männer. Du hast einen Männer-Podcast, wäre aber klug, wenn den Frauen auch hören. Und ich sage es andersherum: Ich habe jetzt ein Buch für Frauen, von Frauen mitgeschrieben, und es ist hauptsächlich für die Männer. Frauen haben einen anderen Zugang dazu, aber ganz besonders brauchen sie mentale Unterstützung, um den Mut aufzubringen, aus ihrer Komfortzone herauszukommen. Ich gebe Dir ein Beispiel: Wenn heute ein Job ausgeschrieben ist, bei dem es heißt „Sie müssen einen englischen Vortrag halten“ oder „Sie müssen einen englischen Brief schreiben können“, sagt ein Mann mit Gymnasiumsausbildung, der nicht viel Englisch gesprochen hat: „Locker“. Schreibt hin: „Fluently English. Kann ich alles, überhaupt kein Problem. Vortragsfähig.“ Was macht eine Frau, die vielleicht noch ein Anglistik-Studium gemacht hat? Die sagt: „Ich glaube, da muss ich vorher noch ein paar Kurse besuchen, bevor ich behaupten kann, ich kann auf Englisch einen Vortrag halten.“
Ich gebe Dir recht, Männer sind da schon hemdsärmelig und sagen „Das kann ich, das geht!“ Aber es gibt auch welche, die sagen „Das traue ich mich jetzt nicht.“ Was wäre Dein Rat?
Im Englischen gibt es einen wunderschönen Satz, der heißt „Try and fail. Try again, fail better.“ Oder: „Hinfallen, Krone richten, aufstehen, weitermachen.“ Das sind so Stehsätze. Ich kann nur sagen, ich habe unendliche Niederlagen in meinem Leben erlitten. Wirklich, die an die Substanz gegangen sind, wo ich gesagte habe: „Womit habe ich das verdient? Wie komme ich da durch? Helft mir!“ Aber das, was uns wirklich hilft, ist der positive Zugang, die Zuversicht, zu sagen: „Ich kann das und wenn ich es nicht kann, werde ich es lernen.“ Und ganz wichtig, es gibt immer Menschen, die können andere Dinge viel besser als Du. Geh hin. Frag sie. Wer fragt, der führt.
Ja, das ist richtig.
Ich liebe es, sowohl gefragt zu werden, als auch, dass ich zu Leuten hingehe. Und ich hatte mein Leben lang das Glück, zwei oder drei tollste Mentoren für mich zu haben. Das ist auch eins: Such dir einen Mentor. Das ist aktiv.
Es gibt dieses grandiose Missverständnis von Netzwerken, dass die Leute glauben, wenn sie irgendwo stehen und ein Sandwich essen und dann Prosecco trinken, „jetzt habe ich ein tolles Netzwerk“. Was für ein Schwachsinn. Netzwerken heißt investieren, Vorleistung bringen und dann sagen können: „Ich hätte eine Frage, könntest Du mir nicht vielleicht helfen?“ Oder sie kommen ohnehin auf Dich zu. Und wenn zu mir junge Leute kommen und sagen „Ich habe mir angeschaut, was Sie machen. Wollen sie mein Mentor sein?“, dann denke ich mir zuerst einmal: „Oh je, das heißt Arbeit. Das heißt, zur Verfügung stehen.“ Aber im Endeffekt ist es natürlich ein Klacks. Und der zweite Gedanke ist dann: „Super, der gefällt mir.“ Das sind Menschen, die Ambition haben, die sagen: „Ich will etwas machen, ich will weiterkommen.“
Und etwas ist ja auch ganz wichtig: Wir Menschen haben eine Beißhemmung. Automatisch. Wir können, wenn jemand mit einer Bitte oder Frage auf uns zukommt, ganz selten „Nein“ sagen. Das ist unheimlich schwer. Vielleicht schweifen wir jetzt noch einmal ab zur Bewerbung für einen Job. Normalerweise bewirbst Du Dich für einen Job und bist dann einer von 225 oder von 1000, die durch einen Algorithmus durchmüssen, vielleicht aussortiert werden oder die Chance haben, in die zweite, dritte, vierte Runde zu kommen. Ich habe neun- oder zehnmal eine Anfrage bekommen von Menschen, die mir gesagt haben: „Hilf mir! Wie komme ich zu einem Job?“ Meine Erfolgsquote ist acht von zehn.
Ich habe gesagt: „Mach das ganz anders. Mach nicht das Gleiche, was alle anderen machen, weil dann bist du natürlich ein Karpfen im Teich von Tausend. Und Du wirst möglicherweise aus einem nichtigen Grund rausfliegen. Mach es ganz anders. Such Dir eine Firma heraus, bei der Du arbeiten willst. Lerne alles über die Firma, was heute ganz einfach ist. Dann schaust Du, wer ist dort der Personalverantwortliche, Direktor, Vorstand oder Ähnliches. Dann zieh Dich ordentlich an, lass Dein Handy zu Hause oder ausgeschaltet in der Tasche und geh dorthin. Nimm ein Buch in die Hand. Nimm die Unterlagen, die Du von Dir selber gemacht hast, Dein Portfolio, und die von der Firma mit. Dann kommst Du zur Vorzimmerdame, die sagt: ‚Herr Huber, grüß Gott, nett, dass Sie da sind. Was kann ich für Sie tun?‘ Und du sagst: ‚Ich hätte gerne mit Ihrem Chef gesprochen.‘ Sie wird fragen: ‚Haben Sie einen Termin?‘
Wenn Du sagst: ‚Nein, ich habe keinen Termin, aber ich habe Zeit. Darf ich mich dorthin setzen?‘ Dann setzt Du Dich im Vorzimmer oder notfalls vor das Vorzimmer hin und liest ein Buch. Kein Handy. Lies ein Buch oder die Zeitschrift der Firma. Irgendwann muss der Chef aufs Klo. Dann geht er an Dir vorbei. Der kann nicht anders. Dann stehst Du auf und sagst: ‚Guten Tag, ich bin der Herr Huber. Ich würde mich gerne vorstellen, haben Sie drei Minuten für mich?‘ Und der Chef hat zwei Chancen. Die dritte nimmt er nicht wahr: Er geht nicht an Dir vorbei und negiert Dich. Wenn er das tut, dann ist es keine Firma, bei der Du arbeiten willst. Sondern er sagt entweder ‚Okay, drei Minuten und nicht eine Sekunde länger.‘ Dann bist Du hoffentlich gut vorbereitet und hast Deinen Elevator-Pitch gelernt. Oder aber er sagt: ‚Machen Sie mit meiner Sekretärin einen Termin.‘ Das ist das Wahrscheinlichere. Und dann hast Du nächste Woche, Dienstag, um 17 Uhr einen Termin. Dann kommst Du gut vorbereitet hin…
Ich sehe schon: Deine Erfolgsquote von 8 von 10, die verstehe ich jetzt, glaube ich, ganz gut. (lacht) Das ist wirklich bodenständig und handfest. Nix mit Social Media oder Online-Bewerbungen, sondern direkt hingehen. Finde ich eine gute Geschichte. Sag mal, bei all dem, wie Du aktiv bist, gelingt es Dir trotzdem, die Freiheiten des Alters, sowas wie Reisen, Familie, vielleicht noch Hobbys zu genießen? Oder bist Du so busy wie damals mit 80 Wochenstunden?
Ich bin vielleicht drei Wochen lang mit 80 Wochenstunden unterwegs und dann zwei Wochen mit null. Ich habe ja meine Krankheit bekommen, weil ich aus diesem Stressrad nicht herausgefunden habe. Wenn der Knödel im Hals nicht aufhört, wenn Du nicht mehr weißt, wie kommst Du aus dieser Situation heraus, dann ist das ein negativer Stress, der Dich krankmacht. Das ist einfach so. Und der eine kriegt einen Herzkasperl und der andere kriegt Krebs, so wie ich.
Wenn Du die Chance hast, da herauszukommen, dann musst Du natürlich was daraus lernen. Und das heißt, Stress ist für mich nicht per se negativ. Ich liebe Adrenalin, auch wenn ich auf die Bühne gehe. Jedes Mal schwitze ich, aber ich weiß, es hat ein Ende. Ich weiß, nach 30 Minuten ist es vorbei. Dann ist dieser Stress aus. Oder wenn ich ein Projekt bearbeite, wenn ich ein Buch schreibe oder was auch immer, dann ist das eine Zeit lang Stress. Und danach kann ich sagen: „Super, das hast Du jetzt gemacht, das ist erledigt. Und jetzt gönn Dir mal was Anderes.“ Das heißt, ich mache meine Reisen, ich bin im Jahr sicherlich zwei bis drei Monate unterwegs, teilweise mit meiner Frau, teilweise ohne meine Frau. Wenn ich Bücher schreiben gehe, bin ich ganz allein, will niemanden sehen. Also ich habe einen Rhythmus, ich kann mich wunderbar auf ein Ding fokussieren und auch beim nächsten Mal auf etwas Anderes ganz fokussieren. Es ist einfach so: Ich kann sowohl abschalten als auch sehr intensiv arbeiten.
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